Geschichte „Es lebe die deutsche Republik“

Wuppertal · Gastbeitrag Die Volksversammlungen am 9. November 1918 in Elberfeld und Barmen.

Ein Redner, vermutlich der Sozialdemokrat Ernst Dröner, spricht vom Musikpavillon im Stadthallengarten von Elberfeld zu der Menge.

Foto: SAW/Stadtarchiv Wtal

Am 9. November 1918, ein Samstag, hatten die Zeitungen den Aufruf zu den Volksversammlungen des Arbeiter- und Soldatenrates in Elberfeld und Barmen angekündigt. Flugblätter mit dem Aufruf kursierten und wurden diskutiert.

Um 9 Uhr vormittags, zwei Stunden nach dem allgemeinen Arbeitsbeginn, folgten viele Beschäftigte dem Aufruf zur Arbeitseinstellung und verließen ihre Betriebe. Überall in der Stadt bildeten sich Menschenansammlungen. Um 11 Uhr stellten auch die Straßenbahnen und die Schwebebahn den Betrieb ein. Der Versammlungsbeginn war für 13 Uhr angekündigt, doch schon jetzt füllten sich die großen Säle der Stadthallen, wo Volksversammlungen stattfinden sollten. Der General-Anzeiger schätzte den Andrang vor der Elberfelder Stadthalle auf 7000 bis 8000 Personen.

Ernst Dröner, Sekretär der SPD-Bezirksleitung und Vorsitzender der lokalen Parteiorganisation, eröffnete die Versammlung: „In dieser denkwürdigen Stunde wird hiermit die erste Volksversammlung für Elberfeld unter dem Arbeiter- und Soldatenrat eröffnet. Nach 51 Monaten Krieg marschiert die Revolution! Nicht nur in Deutschland, sondern auch in der ganzen Welt! Eine Revolution nicht der Zerstörung der Volksgüter, aber des Umsturzes des ganzen Obrigkeitsstaates.“

Als Vertreter der Unabhängigen Sozialdemokraten sprach danach Otto Ibanetz, seit dem Vortag Vorsitzender des Arbeiter- und Soldatenrates. Ibanetz meinte: „Wofür wir Alten gekämpft, gelitten und gearbeitet haben, die Freie Republik, das ist nun Wirklichkeit geworden. Das deutsche Volk hat den Krieg führen müssen für ein Phantom, man hat es belogen und betrogen.“

Noch während der Reden unterbrach der Vorsitzende Ibanetz und verkündete: „Soeben geht mir die Nachricht ein, dass Wilhelm der II. abgedankt hat!“ Ein allgemeiner Jubel, „ein Hoch auf die Republik“.

Die Versammlung bestätigte den Arbeiter- und Soldatenrat. Vor und hinter der Stadthalle formierte sich nun ein begeisterter Demonstrationszug.

In der Barmer Stadthalle verlief die Versammlung ähnlich. Hier hielten der Sekretär des örtlichen Metallarbeiterverbandes (DMV), Johann Busch, und der Reichstagsabgeordnete Carl Haberland (SPD) die Reden zur Proklamation der Republik. Busch, Vertreter der USPD, verlas die Forderungen und das Programm zur Demokratisierung des Staates. Es schloss mit den Worten: „Der 8. und 9. November dieses Jahres wird ein Denkmal für unsere Kinder und Kindeskinder hinterlassen. Dieser Tag hat das morsche preußische System des Militarismus zugrunde gerichtet und die freie deutsche Republik aufgerichtet. Den großen Umsturz, den hier der gestrige Tag eingeleitet hat, danken wir der Organisation der Arbeiterschaft, danken wir dem Proletariat. Wir wollen den Frieden. Wir wollen uns richten nach den Grundsätzen: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. (…) Wir wollen keine Diktatur des Proletariats, wir wollen eine allgemeine Volksvertretung.“

Die zu Schwierigkeiten und die Vorbehalte im Bürgertum klangen auch in diesen Reden an: „Wir haben die Lebensmittelkassen unter militärische Kontrolle gestellt. (…) Wir werden natürlich in der nächsten Zeit nicht im Schlaraffenland leben. Wir müssen mit dem rechnen, was da ist. Aber wir werden die Sachen (die gehorteten Lebensmittel, der Verf.) finden, wo sie sind. Dafür wird der Arbeiter- und Soldatenrat sorgen. Und man darf sich auch nicht wundern, wenn wir einen Posten vor den Restaurationstisch setzen. Aber der Einzelne darf sich nicht selbst auf eigene Faust bereichern. Nicht allein die Arbeiterschaft muss sich um uns sammeln, sondern die ganze Bürgerschaft muss einsehen, daß wir andere Kerle sind, als wie man in der Bürgerschaft vielleicht bisher gedacht hat.“

Doch noch sei nicht alle Arbeit getan: „Wir müssen uns rüsten für die Aufrechterhaltung der Macht. Wir müssen Disziplin üben, sonst zerfällt unsere Macht, weil sie sonst vom Hunger und vom wirtschaftlichen Ruin erstickt wird. Jetzt müssen wir alle uns organisieren für den Aufbau der gewerkschaftlichen und politischen und genossenschaftlichen Organisation.“

Reichstagsabgeordneter Haberland gab indes bekannt, dass ein vom Generalkommando in Münster nach Barmen geschicktes Militärkommando entwaffnet worden sei und betonte, dass die heutigen Forderungen nur ein Mindestprogramm sei: „Unser Ziel ist natürlich die sozialistische Republik.“

An diesem Tag der Freude berichtete die „Barmer Zeitung“ von „bewegtem Straßenleben wie in den ersten Tagen nach Ausbruch des Weltkrieges.“ Die Teilnehmer strömten nach der Versammlung durch die Barmer Anlagen – dort lag die Barmer Stadthalle – ins Stadtzentrum. „Eine dicht gedrängte Menge durchwogte die Straßen. Patrouillen mit roten Armbinden und bewaffnet durchzogen die Straßen. Hier und da wurden Offizieren die Achselstücke abgenommen. Autos mit roten Flaggen, besetzt mit Mitgliedern des Arbeiter- und Soldatenrates fuhren geschäftig hin und her.“

Während die „Revolution“ in der Arbeiterschaft freudig begrüßt wurde, nahm das monarchistisch und national gesonnene Bürgertum den „Umsturz“ mit stummem Entsetzen zur Kenntnis. Im liberalen Flügel des Bürgertums gab es immerhin differenzierte Einschätzungen.

Die liberale „Barmer Zeitung“, plädierte für die „vorläufige Unterstützung“ der Bewegung. In der Abendausgabe heißt es: „Die ganze Bewegung hat sich bisher in einer Ruhe und Ordnung vollzogen, die auch dem Gegner Anerkennung abzwingen muss. (…) Man kann nur hoffen, dass die Massen den Führern nicht aus der Hand gleiten und sich zu Maßlosigkeiten verleiten lassen. (…) Trotz ruhigen Verlaufs kann man sich nicht banger Sorgen um die Zukunft entlassen. Wird es gelingen, den Bahnverkehr in voller Ordnung aufrechtzuerhalten und die Nahrungsmittelversorgung zu sichern? Wird die Umwälzung wirklich unblutig verlaufen? Wird sie sich überhaupt dauerhaft durchsetzen? In Berlin scheint sich die Regierung und das Militär zum Kampf gegen die Bewegung zu rüsten wie das scharfe Vorgehen gegen die Unabhängigen und das Zusammenziehen des Militärs beweist. Und wenn es in Berlin, dem Zentralsitz der Regierung und aller Organisationen, gelingt, die Bewegung zu unterdrücken, so wird sie sich doch nicht durchsetzen. Vorläufig heißt es auch für das Bürgertum, das Bestreben der Führer der Bewegung nach Ordnung und Disziplin zu unterstützen.“

Am Sonntag erschien die Barmer Zeitung mit dem Aufmacher: „Vollkommener Sieg der Revolution!“. Mittlerweile war die Nachricht von den Ereignissen in Berlin und der Bildung einer Revolutionsregierung auch in den Redaktionen angekommen. Am Montag schlossen sich die Vertreter der katholischen Arbeitervereine der Revolution an. An diesem Tag, so wollte es der Zufall, fand in Elberfeld die Herbstdelegiertentagung des „Bergischen Bezirksverbandes der katholischen Arbeitervereine“ statt. In ihrer Entschließung heißt es: „Die gesammelten Arbeitervertreter halten es für das Gebot der Stunde, die katholischen Arbeiter aufzufordern, sich einmütig und geschlossen hinter die Volksregierung zu stellen, deren Waffenstillstands- und Friedensangebot und die Durchführung der inneren Reformen zu begrüßen und gutzuheißen sind.“