Diskussion in der Politik Abtreibungen entkriminalisieren: Wuppertaler Beratungsstelle Pro Familia sieht darin Vorteile
Wuppertal · Eine Chance, nochmal über alles zu sprechen.
Sollen Abtreibungen entkriminalisiert werden? Diese Frage wird momentan auf politischer Ebene diskutiert. Eine von der Ampelkoalition eingesetzte Expertenkommission empfiehlt der Bundesregierung, den Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Er regelt bislang, dass eine Abtreibung grundsätzlich strafbar ist, es sei denn, sie findet in den ersten zwölf Wochen statt und die Frau hat sich zuvor beraten lassen. Weil Schwangere, die abtreiben wollen, oft angefeindet werden, sieht zudem ein Gesetzesvorschlag vor, dass Abtreibungsgegner nicht dichter als 100 Meter um den Eingangsbereich von Beratungsstellen und Kliniken stehen dürfen.
Dass Frauen in Wuppertal von Abtreibungsgegnern angegangen werden, davon können Karin Horn und Marie-Christine Johri, beide Leiterinnen der Pro-Familia-Beratungsstelle Wuppertal, nicht berichten. Wohl aber davon, was eine (Ent)kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bedeutet. „Die Kriminalisierung führt dazu, dass es Bedingungen gibt, unter denen ein Schwangerschaftsabbruch möglich ist, unter anderem die Pflichtberatung. Viele Frauen haben große Angst, Respekt oder Befürchtungen, wenn sie zu uns kommen. Sie denken, dass sie sich rechtfertigen oder uns überzeugen müssen, warum sie kein Kind bekommen können“, erklärt Karin Horn. Viele Frauen hätten sich dann zuvor schon Argumente zurechtgelegt. „Wir sagen gleich zu Beginn, dass wir die Situation nicht bewerten.“
In der Beratung liege jedoch die Chance, dass die Frauen noch einmal über alles sprechen könnten. „Wenn sich die anfängliche Angst deutlich entspannt, erzählen sie oft, was wirklich los ist. „Wir sehen in der Entkriminalisierung eine Chance für die Frauen, sich wirklich damit zu befassen“, sagt Horn. Die Frauen selbst könnten entscheiden, worüber sie in der Beratung sprechen wollen.
Knapp 500 sogenannter Schwangerschaftskonfliktberatungen hat Pro Familia 2023 durchgeführt. Bis Mitte April dieses Jahres waren es 166. Neben Pro Familia führen die Diakonie und Donum vitae Beratungen durch, die eine Bescheinigung über eine erfolgte Beratung ausstellen dürfen. „Ob alle Gespräche aber auch in einem Schwangerschaftsabbruch enden, wissen wir nicht“, erklärt Marie-Christine Johri. „Unsere Zahlen geben nur eine Idee der Größenordnung.“
Nicht nur die Beratung ist zurzeit vorgeschrieben. Festgelegt ist auch, dass Schwangere noch drei weitere Tage nach der Beratung warten müssen, ehe sie abtreiben dürfen. Das übe zusätzlichen Druck auf die Frauen aus, sagen Karin Horn und Marie-Christine Johri. „Sobald die Entscheidung klar ist, wollen sie nicht länger warten“, sagt Johri. Die Wartezeit bedeute zusätzlichen Stress, eine weitere Hürde für jene, die bereits entschieden seien. „Da ändern drei Tage nichts. Die, die unsicher sind, überlegen sowieso meist länger. Ihnen bieten wir ein zweites Gespräch an“, sagt Johri.
Ein weiteres Problem verursacht die Frist von drei Tagen: Der Eingriff wird schnell um mehr als nur drei Tage aufgeschoben. „Wer sich montags beraten lässt, kann erst freitags zum Arzt gehen. Aber Ärzte bieten nicht unbedingt an jedem Tag der Woche Schwangerschaftsabbrüche an. Wer sich Mitte der Woche beraten lässt, muss das Wochenende abwarten“, erklärt Horn. Schnell sind anderthalb Wochen vergangen. Dadurch würden Frauen mitunter auch bei der Wahl ihres Arztes eingeschränkt werden. „Je nachdem, wann die Schwangerschaft festgestellt wird, sind wir schnell an der Frist von zwölf Wochen“, sagt Johri. Denn nicht immer werde eine Schwangerschaft gleich zu Beginn bemerkt.
Wenn Abtreibungen entkriminalisiert werden, braucht es dann überhaupt noch die Beratungsstellen? Für Karin Horn ist die Antwort darauf ein klares Ja. Denn Pro Familia biete neben der Schwangerschaftskonfliktberatung auch Schwangerenberatung sowie Beratungen rund um Sexualität, Familienplanung, Sexualpädagogik und mehr an. Diese Beratung auszubauen, sei wichtig, um die Menschen zu unterstützen, sagt Horn.
Beratung sollte für
jeden frei zugänglich sein
„Das Recht auf Beratung sollte verankert und finanziert werden, damit es offen für alle ist. Das fordert die Expertenkommission“, sagt Marie-Christine Johri. Die Anfragen seien in allen Bereichen unglaublich hoch. „Wir erleben auch, dass eine eintretende Schwangerschaft ganz viele Lebensthemen aufmacht: Wo will ich hin? Wie abgenabelt bin ich von meiner eigenen Familie? Bin ich zufrieden im Job?“, zählt sie die Fragen auf, die sich oft daraus ergeben würden.
Es sei ein Vorurteil, dass meist Minderjährige abtreiben würden. „Viele Frauen sind Anfang/Mitte 30, haben sich etwas aufgebaut und erleben die Systemgrenzen“, sagt Johri. Etwas, das helfen könnte, Abbrüche zu verhindern oder zu minimieren, sei ein größerer Blick auf die Rahmenbedingungen unserer Gesellschaft, „die es nicht leicht machen, sich für ein Kind zu entscheiden“, sagt Horn und nennt Stichworte wie Karriereknick, weniger Verdienst, weniger Rente, Kinderbetreuung. Rahmenbedingungen, die eine Rolle spielen. Dass die Bundesregierung das Gesetz auf den Prüfstand stellt, sei ein Fortschritt. „Wir erleben hier keine leichtfertigen Entscheidungen. Das sind Menschen, die Verantwortung für sich und ihre eventuell schon bestehende Familie übernehmen“, sagt Johri. Eine Verankerung im Strafrecht verhindere einen Schwangerschaftsabbruch nicht, ist sich Karin Horn sicher.