„Alle Wissenschaft ist Theologie!“

Bazon Brock befasste sich in der Galerie Grölle mit dem Pfingstwunder und seinen Auswirkungen auf Christentum und Abendland.

Foto: Stefan Fries

Alles Gute kommt von oben — das hat sich wohl auch Bazon Brock gedacht und für seinen Vortrag in der Galerie Grölle eine Schärpe angelegt, an der sich nach seinen Angaben das Fragment eines 4,6 Milliarden Jahre alten Meteoriten befindet. Das Gestein aus dem Weltall war das passende Accessoire zu dem Thema, mit dem sich der emeritierte Ästhetikprofessor am Sonntag befasste: „Das Pfingstwunder in zeitgemäßer Erscheinung“. Mit Blickrichtung auf den 1. Korintherbrief 14 widmete er sich der „entscheidendsten aller programmatischen Äußerungen“ — eben der Pfingstbotschaft, mit der der Heilige Geist über die Jünger kam und die christliche Kirche begründet wurde.

Brock sprach zunächst weitgehend frei, folgte seinen umfangreichen geistesgeschichtlichen, historischen und philologischen Verweisen und Querverbindungen, später zitierte er einige Passagen aus der entsprechenden Bibelstelle, weitete seine Überlegungen auf die moderne Kunst aus. Beim Blick auf die Religionsgeschichte sah er vor allem den Jünger Petrus in Frontstellung gegen Apostel Paulus. Paulus habe nämlich einen universalistischen Anspruch für das Christentum vertreten, während Petrus in der neuen Religion eine Glaubensform sah, die auf eine jüdische Sekte beschränkt bleiben sollte. Als Vertreter des römischen Rechts habe Paulus gewusst, dass eine neue Religion auch einen universalistischen Geltungsanspruch verfolgen sollte.

Und bei der Verbreitung des Glaubens und seiner Inhalte komme den Propheten eine besondere Funktion zu, erklärte Brock. Sie müssten ihren Zeitgenossen deutlich machen, was ihnen bei einem bestimmten Verhalten oder Nicht-Verhalten droht.

Bazon Brock

Das Pfingstwunder wiederum stelle die „Überwindung der zwangsweisen Beschränktheit in der eigenen kulturellen Identität“ dar — zwar redeten die Menschen in unterschiedlichen Zungen, würden aber im Glauben, der wechselseitigen Anerkennung des anderen und der Diskursleitung durch die Propheten wieder vereint.

Zugleich räumte Brock mit dem Irrglauben auf, dass Wissen und Glauben zwei entgegengesetzte Sphären seien. Erst der Glauben mache das Wissen möglich. Gott sei auch für beinharte Naturwissenschaftler „eine Denknotwendigkeit“, betonte Brock. „Bis heute gilt: Alle Wissenschaft ist Theologie!“ Eine Theologie, die allerdings mit den Folgen der Verwirklichung ihrer Botschaft zurechtkommen muss. Dass heutzutage kaum noch jemand in die Kirche gehe, sei kein Indiz für das Ende des Christentums. Vielmehr sei diese Entwicklung der Tatsache geschuldet, dass die christlichen Ideen — Demokratie sowie Rechts- und Sozialstaat — sich durchgesetzt hätten. Mit Brock gesprochen: „Die Lehre der Kirchen führt zu leeren Kirchen.“