Autorin Mayer in der VHS Wuppertal Warum es eigentlich nur um Geld geht

Autorin Anna Mayr war in der Politischen Runde der VHS zu Gast. Sie sprach über Kinderarmut, Arbeitslosigkeit und warum es eigentlich nur um Geld geht.

In der Politischen Runde der VHS ging es um Kinderarmut.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Jedes dritte Kind in Wuppertal ist arm. Das ergab eine Studie der Bertelsmann Stiftung im vergangenen Jahr. „Wuppertal hat viele Superlative, aber auch in der Armut die Nase weit vorn“, sagte Moderatorin Annette Hager in der Politischen Runde der Bergischen VHS am Montagabend.

Thema war Armut, Kinderarmut, Arbeitslosigkeit – und das Buch des Gastes, Anna Mayr. Die Zeit-Journalistin hat „Die Elenden. Warum unsere Gesellschaft Arbeitslose verachtet und sie dennoch braucht“ geschrieben. Mayr sagt, dass das System so aufgebaut ist, dass wir als Gesellschaft arme Menschen brauchen – damit die anderen sich gut fühlen. Und so gebe es auch solche, die sich schlechter fühlen.

Anna Mayr, geboren 1993, ist selbst in Armut aufgewachsen. Ihre Eltern sind Langzeitarbeitslose. Sie zeigt, wo es hakt im System. Manchmal auch an ihrem eigenen Beispiel. Im Gespräch mit Annette Hager erzählt sie davon, wie sie ihren ersten Brief vom Arbeitsamt bekommen hat. Um nach der zehnten Klasse über Berufswünsche zu sprechen. „Wenn Sie nicht erscheinen, kürzen wir Ihre Bezüge“, stand da.

Bis dahin habe sie nicht gewusst, dass sie „Bezüge“ bekomme. Auch habe ihr der Brief gezeigt, wie wenig der Staat von ihr erwarte: Sie wollte doch Abitur machen, aber das war gar nicht vorgesehen, das habe die Mitarbeiter des Amts gewundert. Und als sie einen besonderen Englisch-Test machen wollte, gab es kein Geld dafür vom Amt. „Arme Kinder werden nur gefördert, wenn sie schlecht in der Schule sind“, sagt Mayr. Das seien Strukturen, die Armut und deren Vererbung unterstützen.

Die Industrie hinter der sozialen Arbeit

Mayr liest in der Veranstaltung aus ihrem Buch vor – über die Abwärtsspirale, wenn man den Job verliert, und was das mit einem macht. Über die Industrie hinter der sozialen Arbeit, die versucht, Menschen zu helfen – aber auch davon lebt, dass es Menschen gibt, denen man helfen muss.

Dabei, sagt Mayr, sei es ganz banal: „Was gegen Armut hilft, ist Geld.“ Aufstieg durch Bildung und Leistung – das sei verkürzt, idealisiert. „Bürgerliche Ideale für proletarische Probleme.“ Denn Leistung und Verdienst hätten in unserer Gesellschaft nichts miteinander zu tun. Und Kindern Chancen zu geben, schaffe auch die Möglichkeit, ihnen vorzuwerfen, diese nicht genutzt zu haben.

Es sei gut, wenn Kinder zur Schule gehen – aber was, wenn kein Geld für Sportschuhe da ist? Gut, wenn sie in der Schule etwas über gesundes Essen lernten – aber was, wenn kein Geld für eben das da ist? Letztlich gehe es weitgehend um Geld. Für die These gab es auch Kritik aus dem digitalen Publikum im Chat, es sei „zu eindimensional“, nur diesen Ausweg zu sehen.

Mayr hält das für den Kern des Problems. Am Geld zeige sich auch, dass man armen Menschen die eigene Entscheidungsfähigkeit abspreche. Denn Hartz-IV-Empfänger dürften nicht frei darüber entscheiden, wofür sie das Geld ausgeben – auch für die Kinder. „Wenn Eltern jetzt 50 Euro mehr für Hygienemittel bekommen, aber ihrem Sohn ein Skateboard kaufen wollen, dann ist das ihre Entscheidung“, so Mayr. Es frage ja auch niemand, was sie mit der Steuerrückzahlung mache. Letztlich sollte es genug Geld für Familien geben, dass die Ausgaben nicht in Konkurrenz zueinander stünden.

Mayr betrachtet das als Zeichen für einen fragwürdigen Umgang mit Armen. Und der führe die Gesellschaft in Probleme – was Konkurrenzkampf angehe, Abstiegsängste und Verteilungskämpfe, aber die würden immer unten geführt, nicht oben. Angesichts von mehr als einer Million Langzeitarbeitslosen in Deutschland und 8149 Menschen in Wuppertal – 2 832 (plus 53,3 Prozent) mehr als vor einem Jahr – eine bedrückend aktuelle Debatte.

»Anna Mayr - Die Elenden, Hanser Berlin, 208 Seiten