ÖPNV Beim Ausbau barrierefreier Haltestellen kommt Wuppertal nur langsam voran

Wuppertal · Wuppertal ist erneut Schlusslicht im Verkehrsbund Rhein-Ruhr – es fehlt auch an Planern.

Barrierefreie Bushaltestellen wie hier am Leimbach gibt es in Wuppertal noch zu wenige.

Foto: ANNA SCHWARTZ

Wuppertal ist negative Spitze bei den barrierefreien Haltestellen – und verweist als Grund dafür auf seit Jahren fehlende Ressourcen. Bei einer jährlichen Erhebung des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR) für 2022 meldete die Stadt 194 barrierefreie Haltestellen im Stadtgebiet. Das entspricht 16 Prozent aller 1463 Haltestellen. Damit belegt die Stadt den letzten Platz unter den 23 Städten und Kreisen im VRR.

Am Ende der Vergleichsliste hat Wuppertal Gesellschaft von Solingen, Remscheid und Hagen, die dem VRR jeweils 18 beziehungsweise 19 Prozent als barrierefrei gemeldet haben. An der Spitze steht Oberhausen mit 93 Prozent barrierefreier Haltestellen. Zur Verlässlichkeit der Zahlen muss allerdings ein Fragezeichen gesetzt werden: In Berichten aus dem Vorjahr ist nur von 92 barrierefreien Haltestellen in Wuppertal (sechs Prozent) die Rede, ein solcher Anstieg ist nicht plausibel. Im Ratsinformationssystem der Stadt sind ab 2020 Beschlüsse für lediglich knapp 30 Haltestellenpunkte zu finden.

Stadtsprecherin Martina Eckermann verweist darauf, dass für die Barrierefreiheit eine Vielzahl von Kriterien erfüllt sein müsse, die sich auf unterschiedliche Einschränkungen beziehen. Daher seien tatsächlich nur wenige Haltestellen komplett barrierefrei. Zudem erhöhe sich der Standard weiter. So heißt es in der Stellungnahme der Stadt zu dem Ranking, dass „Ausbaustandards von Haltestellen, die bei ihrem Bau als barrierefrei galten und mit den Behindertenverbänden abgestimmt waren, heute mitunter nicht als barrierefrei angesehen werden können“.

Ende 2021 hat der Rat ein „Konzept zur Schaffung eines barrierefreien ÖPNV Wuppertal“ beschlossen, das ein Gutachterbüro mit der Fachverwaltung, den Stadtwerken, Behindertenbeauftragten und einer Bürgerbeteiligung erstellt hat. In der Bestandsaufnahme darin heißt es sogar: „Die Anforderungen an eine ,vollständig barrierefreie Haltestelle‘ werden in Wuppertal von keiner Haltestelle erfüllt.“

Als Kriterien dafür werden dort genannt: eine Bordsteinhöhe von mindestens 18 Zentimetern, taktile Leitelemente auf dem Boden, stufenlose Erreichbarkeit, ausreichende Bewegungsflächen für Menschen im Rollstuhl, ausreichende Durchgangsbreiten, akzeptable Längs- und Querneigung der Wartefläche, ein barrierefreier Bodenbelag und ausreichende Manövrierfläche für die Nutzung einer Rampe für Menschen im Rollstuhl.

Zum Beispiel bei der Bordsteinhöhe hat Wuppertal Nachholbedarf, zeigt das Konzept auf. Erhöhte Bordsteine erleichtern den Einstieg in Busse. Wenn bisher Bordsteine an Haltestellen erhöht wurden, galt 16 Zentimeter als Maximum. Das Konzept setzt nun auf 18 Zentimeter als Regel, damit der Abstand zum Einstieg in Niederflurbusse (Standardhöhe 27 Zentimeter über der Fahrbahn) maximal zehn Zentimeter beträgt. Einen solchen Abstand könnten Menschen mit Gehbehinderung oder mit Rollstuhl mit Mühe oder Hilfe noch überwinden. Zum Zeitpunkt der Bestandsaufnahme hatten nur 60 Haltestellen (5 Prozent) diese Bordsteinhöhe.

Busbuchten sollen
künftig zurückgebaut werden

Das liegt auch daran, dass ab 16 Zentimetern Bordsteinhöhe Beschädigungen am Bus möglich sind, wenn dieser in eine zu kurze Busbucht ein- und ausfahren muss. Deshalb sollen künftig Haltestellen am Fahrbahnrand ohne Busbucht die Regel sein, sodass die Busse sie parallel zur Fahrtrichtung anfahren können. Der Fahrgastverband Pro Bahn erinnerte in seiner Stellungnahme zum Konzept daran, dass der in den 1990er-Jahren begonnene barrierefreie Ausbau der Haltestellen durch ein „Bürgerbegehren gegen Buskaps“ gestoppt, danach nicht wieder aufgenommen worden sei. Die Versäumnisse müssten nun aufgeholt werden.

Das beschlossene Konzept machte mit einer drastischen Aussage deutlich: Bei Beibehaltung des derzeitigen Ausbautempos werde es bis zum Ziel eines vollständig barrierefreien Nahverkehrs in Wuppertal mehrere hundert Jahre dauern. Deshalb seien mehr Ressourcen und mehr Personal nötig. Das weiß man auch bei der Stadt, die in ihrer Stellungnahme einräumt, dass der Stand der Barrierefreiheit im Wuppertaler Nahverkehr „höchst unbefriedigend“ ist. Bisher habe „Wuppertal als arme Stadt“ nie über die personellen und finanziellen Ressourcen verfügt, um den Umbau so voranzutreiben, wie es notwendig wäre. Pro Bahn hatte aber in seiner Stellungnahme zum Konzept bereits kritisiert: „Der ständige Verweis auf eingeschränkte Personal- und Finanzressourcen kann angesichts der jahrelangen Versäumnisse nicht mehr als seriöser Gesetzesvollzug akzeptiert werden.“

Die Stadtverwaltung erklärt weiter, es gebe zwar aktuell Fördermittel für den Ausbau barrierefreier Haltestellen, aber um diese zu nutzen, hätten bisher Planer gefehlt: „Wir sind daher außerordentlich froh, dass der Rat der Stadt nach vielen Jahren des Stellenabbaus und der Stagnation in dem Haushalt für dieses Jahr zusätzliche personelle Ressourcen unter anderem für diese Ausgabe vorgesehen hat.“ Im aktuellen städtischen Haushalt sind nach einem gemeinsamen Antrag von SPD, CDU und FDP zusätzlich 135 000 Euro pro Jahr für Verkehrsplaner, unter anderem für die Barrierefreiheit, vorgesehen.

Aber auch das löse das Problem nicht sofort, so die Verwaltung: „Da die nötigen Planer und Verkehrsingenieure auf dem Arbeitsmarkt kaum zu finden sind beziehungsweise die Konditionen des Öffentlichen Dienstes mit denen der Privatwirtschaft oft nicht mithalten können“.

Auch Sedat Ugurman (SPD), Vorsitzender des Verkehrsausschusses, verweist auf das zusätzlich beschlossene Geld für Personal einerseits und andererseits die Schwierigkeit, Fachleute zu finden. Und darauf, dass die Politik erst kürzlich erneut Druck gemacht habe: Der Verkehrsausschuss hat im April eine „Schwerpunktsetzung“ beschlossen, mit der er der Verwaltung im Bereich Verkehr fünf Themenbereiche nennt, die mit Vorrang zu bearbeiten seien – an Platz zwei der Ausbau des barrierefreien Nahverkehrs. „Damit haben wir deutlich gemacht, dass wir eine schnellere Bearbeitung wollen“, so Ugurman.