Wuppertaler Stadtgeschichte Woher der Ausdruck „Blauer Montag“ kommt
Wuppertal · Der „blaue Montag“ wurde in der Region zu einem Gewohnheitsrecht – doch dann gab es Verbote unter Androhung von saftigen Strafen. Wuppertaler Stadtgeschichte.
Ein typischer Sonntag am Ende des 18. Jahrhunderts: Nach dem obligatorischen Kirchgang brechen für die Handwerker im Textilgewerbe oder in der Kleineisenproduktion des Bergischen Landes nach einer Woche harter Arbeit regelmäßig exzessiv Stunden des „Feierabends“ an. Die alkoholbedingten Folgen reichen nicht selten noch bis in den Montag, sodass es sich in Elberfeld oder in Gemarke (Barmen), so wie überall im Land, einbürgert, an diesem ersten Tag der neuen Woche die gewohnte Arbeit zum Zweck der Rauschabfuhr und Erholung einfach mal ruhen zu lassen: „Blauer Montag“, jahrhundertelanges Gewohnheitsrecht, das aus der Sicht der arbeitenden Bevölkerung niemals ernsthaft in Frage zu stellen war.
Das sollte sich ändern; denn diese Form von proletarischem Eigensinn störte mit Blick auf die Produktivitätseinbußen zwar weniger die konservativen Handwerksmeister als die in völlig neuen Kategorien von Wirtschaftlichkeit, Ertrag und notwendiger Arbeitsmoral denkende Obrigkeit. Das führte zu Verboten unter Androhung von saftigen Strafen, wie im Sommer 1783, als es hieß: „Die gegen diesen Befehl handelnden Handwerksgesellen sollen für den ersten Müßiggangstag mit 15 Stübern, für den zweiten mit 30 Stübern und für den dritten mit achttägigem Arrest bestraft werden; diejenigen Meister welche sich an solchem Missbrauch betheiligen, verfallen für die vorgenannten Contraventionen in die doppelte Strafe und sollen im vierten Wiederholungsfall des Handwerks verlustig erklärt werden.“ Das Allgemeine Preußische Landrecht, das am 1. Juni 1794 in Kraft trat, sollte schließlich diesem überkommenen Brauchtum endgültig ein Ende bereiten: Der Blaue Montag war abgeschafft – ein rechtlicher Schritt in die Moderne, welcher der arbeitenden Klasse ein Stück ihrer Autonomie nahm.
Die Geschichte des Blauen Montags führt zu den eher selten gestellten Fragen der Geschichte, etwa: Waren die Menschen vor der „Erfindung“ des Kapitalismus tatsächlich arm und lebten mehr schlecht als recht von harter, aber wenig ertragreicher Arbeit? Die historischen Fakten erzählen eine andere Geschichte.
Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts arbeitete man in Europa durchschnittlich rund 2000 Stunden im Jahr, was ungefähr heutigen Maßstäben entspricht. Erst im Verlauf der kapitalistischen Entwicklung wurde die Arbeitszeit dann deutlich angehoben. Die Moderne hat die 5-Tagewoche also definitiv nicht erfunden. Arbeitstage waren in „vormoderner“ Zeit regelmäßig halbe Tage. Arbeiter und Handwerker teilten sich ihre Arbeitszeit häufig frei ein. Verlängerte Wochenenden, wie der Blaue Montag, waren dabei ebenso populär wie üblich und wurden erst seit dem 17. Jahrhundert von wechselnden Obrigkeiten wiederholt abgeschafft, ohne aber die Gewohnheiten einer etablierten Arbeitsökonomie für immer im Keime ersticken zu können. So reagierten empörte Handwerksgesellen regelmäßig mit kollektiver Gegenwehr, wie bei der Elberfelder „Laternenrevolte“ von 1804, als das öffentliche Feiern nach 22 Uhr strikt verboten wurde.
Es gibt nicht viele Historikerinnen und Historiker, die solche Geschichten der „Vormoderne“ (die frühe Neuzeit zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert) untersuchen und dabei auf Varianten (heute wieder) zukunftsfähiger Formen des Wirtschaftens, des gesellschaftlichen Zusammenlebens und des Umgangs mit natürlichen Ressourcen stoßen. Eine davon ist Annette Kehnel mit ihrem Buch „Wir konnten auch anders“. Dort begegnet man erfindungsreichen Renaissance-Architekten, die in großem Stil Baustoffrecycling betrieben, apfiffigen Investoren, die mit Frühformen von „Crowdfunding“ erfolgreich den Bau der Brücke von Avignon finanzierten, oder Beispielen nachhaltiger Fischerei am Bodensee, großen Second-Hand-Märkten in Paris oder zahllosen Reparaturberufen in Frankfurt zu Zeiten, als konsequente Kreislaufwirtschaft eine Selbstverständlichkeit war. Und der Blaue Montag in Paris: Etwas außerhalb der Stadt, am Place de la Grève, fanden dort unter der Woche zwar öffentliche Hinrichtungen statt. Am Montag, dem freien Tag der Henker, aber mutierte der Platz zur öffentlichen Altkleiderkammer, in der sich die Hausfrauen, Dienstmägde oder Prostituierten, Frauen ohne Unterschied des Standes mit Textilien aller Art, häufig nach schamfreier Anprobe auch mit Unterwäsche eindeckten. Das Geschäft mit dem Tausch von Gebrauchtem quer durch die gesellschaftlichen Milieus florierte derart gut, dass am Montagabend regelmäßig alles ausverkauft war. Dienstag war dann wieder regulärer Arbeitstag.