Interview IHK-Präsident: „Einen zweiten Lockdown würden wir nicht überleben“

Wuppertal · Thomas Meyer warnt vor zu viel Sorglosigkeit und Populismus in der Politik.

IHK-Präsident Thomas Meyer ist noch bis Mai nächsten Jahres Präsident der Bergischen IHK.

Foto: Roland Keusch

Herr Meyer, wie steht es in der Pandemie um die Unternehmen und Arbeitsplätze im Bergischen Land?

Thomas Meyer: Die Automobilzulieferer waren als Erste von der Corona-Krise betroffen, zeitversetzt bekommen jetzt die Maschinen- und Anlagenbauer die einbrechende Konjunktur zu spüren. Die Unternehmen rechnen mit einem Auftragsminus von bis zu 70 Prozent. Im dritten und vierten Quartal dieses Jahres werden deshalb auch die großen Unternehmen mit vielen Arbeitsplätzen starke Verluste erleiden. Viele Messebauer und Soloselbstständige haben bereits ihren Arbeitsplatz verloren. Auch der Einzelhandel und natürlich die Gastronomen leiden unter den Folgen. Shoppen und Ausgehen bereiten den Menschen mit Maske nur bedingt Freude. Es fehlt die Unbeschwertheit, und natürlich halten die Menschen in der Krise ihr Geld zusammen. Dagegen gibt es nur wenige Gewinner, darunter die Hygieneindustrie, also die Hersteller von Toilettenpapier oder Papiertaschentüchern, außerdem die Medizintechnik, die Lebensmittelhersteller und -verpacker. Und natürlich der Online-Handel; er hat enorme Zuwächse.

Was bedeutet das für den Arbeitsmarkt?

Meyer: Jeder Unternehmer kämpft für seine Mitarbeiter. Wenn es aber um das Überleben geht, wird es Unternehmen geben, die nicht um betriebsbedingte Kündigungen herumkommen. Ich befürchte, im dritten und vierten Quartal wird die Zahl der Arbeitslosen deshalb steigen.

Wir erleben gerade einen Wiederanstieg der Infektionszahlen. Was wären die Folgen eines zweiten Lockdowns?

Meyer: Einen zweiten Lockdown würden wir nicht überleben. Deshalb müssen sich die Menschen an die Regeln halten. Und bei Verstößen dagegen müssen die Behörden hart durchgreifen. Denn noch einmal, um es klar zu sagen: Ein zweites Herunterfahren des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens können wir uns nicht leisten. Das würden die Unternehmen nicht überstehen.

Helfen die Corona-Hilfen von Land und Bund?

Meyer: Ja. Die Politik hat in dieser Krise unglaublich schnell reagiert. Dafür bin ich sehr dankbar, denn das Schlimmste konnte mit sehr viel Geld vorerst abgewendet werden.

Halten Sie es auch für richtig, dass die Europäische Union und damit auch der Steuerzahler in Deutschland den von der Krise stark gebeutelten Ländern im Süden helfen wird?

Meyer: Ja. Die starken Länder müssen den schwachen Ländern helfen. Das gilt in Deutschland schon lange, es muss auch in Europa gelten. Letztlich helfen wir uns damit selbst. Wir haben im Bergischen Land eine Exportquote von 50 Prozent. Mein Unternehmen TKM erzielt sogar 70 Prozent seines Umsatzes in Europa. Wenn Spanien oder Italien nicht mehr das Geld haben, Maschinen, Werkzeuge oder Autos in Deutschland zu kaufen, bedeutet das für unsere Unternehmen weniger Aufträge, weniger Umsatz, geringere Beschäftigung und in der Folge Entlassungen. Es ist deshalb richtig, die Nachfrage in Europa zu stützen.

Vor der Corona-Krise galten der Brexit und Donald Trump als die größten Risiken für die Weltwirtschaft. Wie sollte die deutsche beziehungsweise europäische Politik darauf reagieren?

Meyer: Wir müssen Europa stärken. Gerade wir Deutschen brauchen ein starkes Europa. Weil wir als Exportnation von Europa abhängig sind. Und weil wir trotz unserer Stärke zu klein sind, um in der Welt alleine zu bestehen.

Statt eines geeinten Europas erleben wir in vielen Staaten ein Erstarken nationalistischer Tendenzen. Auch in Deutschland. Bereitet Ihnen das Sorge?

Meyer: Ja, natürlich. Schauen Sie, ich bin viel in Europa unterwegs. Die Menschen dort wollen ein starkes Deutschland. Und sie wollen ein Deutschland, das eine führende Rolle in Europa einnimmt. Sie achten aber auch mit großer Sensibilität darauf, was sich in Deutschland ereignet. Je größer die Wahlerfolge extremistischer Parteien ausfallen, umso schlechter ist das deshalb für den Wirtschaftsstandort Deutschland und desto schlechter auch für den Wirtschaftsstandort Bergisches Land.

Schauen wir mal auf den Wirtschaftsstandort Bergisches Land. Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung von Solingen, Remscheid und Wuppertal?

Meyer: Ich glaube, dass wir uns in den letzten Jahren auf einen guten Weg begeben haben. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten konnte stetig gesteigert werden. Neben der klassischen Industrie, die bei uns zu Hause ist, haben sich neue IT-Firmen angesiedelt. In Solingen hat das Thema 3-D eine enorme Dynamik entwickelt. Die Städte haben zudem investiert – in den Breitbandausbau, in die Schulen. Und: In allen drei Städten finden die Sorgen und Nöte der Wirtschaft heute Gehör. Das gilt insbesondere mit Blick auf neue Gewerbeflächen, die wir so dringend brauchen.

Vor der Corona-Krise galt der Klimawandel vielen Unternehmen als die Herausforderung der Zukunft. Nimmt die Wirtschaft das Thema in Zeiten von Corona noch genauso wichtig?

Meyer: Ich bin davon überzeugt, dass der Klimawandel für alle Unternehmen im Bergischen Land wichtig ist. In der jetzigen Krise stellt sich jedoch für viele Unternehmen die Frage nach dem eigenen Überleben. Und wem sich die Überlebensfrage stellt, der stellt die eigentlich geplante Investition in den Klimaschutz vielleicht zurück. Das kann ich niemandem verdenken. Wenn es den Unternehmen wieder besser geht, werden diese Investitionen nachgeholt. Da bin ich ganz sicher.

Zuletzt sorgte darüber hinaus das geplante Lieferkettengesetz für Aufregung. Es soll die Ausbeutung von Menschen bei der weltweiten Produktion verhindern. Wie stehen Sie dazu?

Meyer: Die Frage ist doch, für was die Unternehmer eigentlich noch alles verantwortlich gemacht werden sollen. Unsere weltweite Produktion von Gütern ist so sehr verzahnt, dass der einzelne Unternehmer auf der fünften, sechsten oder siebten Produktionsebene überhaupt keinen Zugriff hat auf die Arbeitsbedingungen vor Ort. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Der Automobilhersteller Chrysler sitzt in den USA. Zu seinen Zulieferern zählt vielleicht das Unternehmen Bosch in Deutschland, das wiederum Teile aus anderen Ländern bezieht, an deren Herstellung vielleicht auf siebter Ebene ein Stanzer aus Solingen beteiligt ist. Und nun erwarten Sie von Chrysler, dass er von den Arbeitsbedingungen dort erfährt und Einfluss darauf nimmt? Das ist selbst bei größtmöglichem Aufwand nahezu unmöglich. Schauen Sie, mit einem meiner Lieferanten in Malaysia bin ich vielleicht noch bekannt und befreundet. Aber wie soll ich sicher erfahren, wen der als Subsubsub-Unternehmer beschäftigt?

Die Entscheidung über das neue Gesetz fällt vielleicht noch in dieser Legislaturperiode. Sie werden im Mai nächsten Jahres nicht erneut für das Amt des IHK-Präsidenten kandidieren. Wie fällt Ihre Bilanz an der Spitze des Verbandes aus?

Meyer: Eine Bilanz müssen am Ende andere ziehen. Ich finde, dass wir viele gute Projekte auf den Weg gebracht haben. Unter anderem konnten mit Hilfe der Bergischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft viele Millionenprojekte in die Region geholt werden. Dass das Bergische Land zur digitalen Modellregion wurde, spricht zudem für die guten Kontakte, die wir als IHK ins NRW-Wirtschaftsministerium haben. Dennoch: Für eine detaillierte Bilanz ist es mir persönlich zu früh.

Wer wird denn eigentlich Ihr Nachfolger?

Meyer: Das entscheidet am Ende die Vollversammlung.

Und es werden noch keine Namen gehandelt?

Meyer: Nein. Und wenn doch, dann würde ich mich da auch bedeckt halten.