Weihnachten Liebes Christkind, hast du WhatsApp?

Engelskirchen · Rund 6000 Kinder besuchen das Christkind jedes Jahr in Engelskirchen. Die WZ hat sich in der himmlischen Postfiliale umgeschaut.

Mutter Anne Maaß besucht mit Tim (6), Merle (8) und Fine (5 Monate) das Christkind.

Foto: Daniel Neukirchen

Jessica (4) läuft mit Vollgas auf das Christkind zu. Doch auf halbem Weg weicht die aufgestaute Vorfreude dann offenbar einer Portion Skepsis und die kurzen Beine werden schwer. Diese Erscheinung mit den Engelsflügeln, dem weißen Gewand und dem warmen Lächeln ist den meisten Kindern erst einmal nicht ganz geheuer. Jessica schaut verlegen zu Boden und spielt sich an den Fingern. Ihr Bruder Tom (2) starrt das Christkind mit großen Augen an, so wie es ein Erwachsener tun würde, der in seinem Wohnzimmer einen Außerirdischen getroffen hat. Die Mama schiebt die kleine Jessica an: „Zeig dem Christkind mal deinen Brief.“ Doch das Kind ist erstarrt. „Ihr hat es die Sprache verschlagen“, so die Diagnose der Mutter. Dann nimmt sich Jessica aber doch ein Herz und übergibt der Frau aus dem Himmelreich zögerlich ihren Brief mit einem selbstgemalten Bild und der knappen Information: „Ich wünsche mir eine Puppe.“ Bei aller Furcht: Man will ja nicht riskieren, an Weihnachten leer auszugehen.

In Engelskirchen im Oberbergischen Kreis treffen jedes Jahr kurz vor Weihnachten rund 6000 Kinder das Christkind. Dieses richtet sich zu dieser Zeit im LVR-Industriemuseum ein und empfängt dort in seinem Weihnachtspostamt zwischen Weihnachtsbäumen und einem digital knisternden Fernseh-Kamin aufgedrehte Kinder, Eltern mit feuchten Augen und Paare, die einfach mal ein cooles Foto machen möchten.

Sie alle brauchen Stehvermögen, denn die Symbolfigur der westlichen Weihnacht ist beliebt. Die Schlange der Wartenden reicht mit Glück bis zum Museumseingang, zur heißen Phase sogar bis weit nach draußen. Manche Kinder warten bis zu zweieinhalb Stunden auf den großen Moment. Da liegen dann schon mal kurz vorher die Nerven blank. Aus dem vorderen Bereich der Schlange droht eine Mutter: „Wenn du nicht lieb bist, fahren wir heim und dann hast du das Christkind verpasst.“ Doch am Ende gehen alle Besucher mit einem Lächeln nach Hause. Die Kinder haben einen Riesenkeks im Mund und die Eltern ein prächtiges Foto im Smartphone. Das wird auf jeden Fall gemacht, auch wenn der Sohn krakeelt: „Papa soll nicht fotografieren.“

Alle Wunschbriefe wiegen zusammen fast vier Tonnen

Das Christkind hat 16 Helfer, von denen einige in der Weihnachtspostfiliale sitzen und Briefe öffnen. Das tun sie für sechs Wochen, acht Stunden am Tag. 126 000 Briefe hat das Christkind im vergangenen Jahr bekommen – 3,9 Tonnen Wünsche. Und alle wollen erfüllt werden. Im Jahr 1985 setzte sich die Deutsche Post erstmals mit der Frage auseinander, was man denn mit den ganzen Briefen tun soll, die Kinder „an das Christkind im Himmel“ adressieren. Damals wurde kurzerhand die Christkindpostfiliale ins Leben gerufen, ursprünglich in der echten Postfiliale Engelskirchen, heute – nach ein paar Zwischenstationen – im Museum.

Birgit Müller (59) ist schon seit vielen Jahren Helferin des Christkinds und hat schon damals Briefe beantwortet, als das Christkind sich noch gar nicht persönlich in Engelskirchen gezeigt hat. Sie weiß: Im Trend liegen inzwischen wieder die immateriellen Wünsche. Müller sagt: „Die Kinder wünschen sich häufig Gesundheit für Oma und Opa, und dass Papa wieder mehr Zeit hat.“ Neuerdings komme auch das Thema Umwelt immer wieder vor. „Das beschäftigt die Kinder offenbar.“ So liest Müller gelegentlich in krakeliger Schrift, dass sich Jungen und Mädchen weniger Plastik im Meer wünschen.

Das Christkind antwortet in insgesamt zehn Sprachen

In diesen Tagen gehen von Engelskirchen aus unzählige Antwortbriefe in die Welt hinaus. In den allermeisten Fällen schreibt das Christkind das Gleiche, verrät Helferin Britta Töllner, die alljährlich die Christkindpostfiliale organisiert. Doch ab und zu empfinden es die Helfer als angemessen, noch ein paar handschriftliche Worte hinzuzufügen. Töllner sagt: „Gestern hatte ich wieder so einen besonderen Brief. Da hat ein Kind geschrieben: Grüß doch bitte Papa im Himmel.“

Das Christkind antwortet in zehn Sprachen, denn die Briefe kommen aus allen möglichen Ländern der Erde nach Engelskirchen. Eine große Fangruppe von 4500 Menschen schreibt inzwischen aus Taiwan, in Tschechien ist das Christkind ebenso sehr beliebt und neulich trudelte sogar Post aus Neuseeland ein.

Es wird gebastelt, gemalt und gedichtet. Einige Kinder versuchen, das Christkind mit Geld oder Schokomünzen zu bestechen. „Es kommen auch schon mal Einladungen zum Geburtstag - oder in die private WhatsApp-Gruppe“, sagt Töllner. Ein Kind hat in diesem Jahr geschrieben: „Dich gibt es gar nicht!“ Vorsichtshalber ging der Wünschebrief aber trotzdem ans Christkind adressiert raus. Man weiß ja nie.