Education-Programm Wie reitet der kleine Lord über die Bühne?

Wuppertal · Sylvia Martin arbeitet als Theaterpädagogin beim Schauspiel Wuppertal. Dort bereitet sie Erst- bis Fünftklässler auf das Familienstück vor. Workshops sind gefragt.

Theaterpädagogin Sylvia Martin bereitet die Kinder auf die verschiedenen Stücke vor.

Foto: Fries, Stefan (fri)

„Wir machen jetzt folgendes: Cedrik muss nach England gehen“, sagt die Frau mit dem kurzen, auffallend roten Haarschopf. Auf ihr Kommando beginnen mehr als 20 Kinder im Kreis zu gehen, zu klettern oder zu reiten – je nachdem, was Sylvia Martin vorgibt. Die Theaterpädagogin ist seit gut fünf Jahren im Educationteam der Wuppertaler Bühnen, betreut die Sparte Schauspiel mit einer Vielzahl von Angeboten. Immer mit dem Ziel, dem meist jungen Nachwuchs Inhalte vertraut zu machen und ihn ans Theater heranzuführen. Seit gut vier Wochen bereitet sie deshalb auch auf das Familienstück „Der kleine Lord“ vor, hat mittlerweile in 27 Workshops etwa 600 Wuppertaler Schüler aus ersten bis fünften Klassen für die Inszenierung begeistert. Die anstrengende Arbeit meistert sie mit viel Energie und Freude.

„Der kleine Lord“ ist die altbekannte Geschichte des achtjährigen, verarmten Cedrik aus Amerika, der seinen verknöcherten englischen Großvater, den reichen Earl von Dorincourt, in einen Menschen verwandelt. Eine anrührende Geschichte, die bei vielen deutschen Familien gerade an Weihnachten über den Fernsehbildschirm flimmert. Die Wuppertaler Inszenierung ist beschwingt und voller Gags. Hat sogar eine eigene Filmmusik, die der Korrepetitor und Assistent von Generalmusikdirektorin Julia Jones, William Shaw, komponiert hat. Die Kinder kennen meist weder den Roman von Francis Hodgson Burnett aus dem Jahr 1886, noch den Film mit Alec Guiness von 1980. Die Wuppertaler Aufführung aber lernen sie kennen.

Jeder Workshop beginnt mit einer Fragerunde zum jeweiligen Stück

Jeder Workshop beginnt mit einer Fragerunde zum Stück, zu Theater, Oper, Bühne und Instrumenten. Sylvia Martin trägt behutsam lenkend mit den Kindern die Informationen zusammen. „Die Kinder erfahren, wie Schauspieler arbeiten, dass zum Beispiel über den Gang der Charakter einer Person deutlich werden kann oder Tiere besser aufrecht dargestellt werden, weil das weniger anstrengend ist, der Tierkopf besser gesehen werden kann.“ Nachdem erstes Wissen vermittelt wurde und der Geist so in die Gänge gekommen ist, folgt das körperliche Aufwärmen mittels beliebtem Stopptanz-Spiel. Die Viertklässler der Antoniusgrundschule springen, stolpern, stapfen durch imaginären Schnee, gehen o-beinig wie Reiter, halten inne, wenn Martin „stopp“ sagt. Setzen sich im Kreis zusammen, um die Geschichte des kleinen Lords kennenzulernen. Dabei lässt Martin die Kinder kurze Sequenzen spielen, bittet sie, den lebensfrohen Enkel, den mürrischen Großvater, das scheue Pferd oder den anhänglichen Hund zu mimen. Je nach Alter wandelt die Theaterpädagogin ihr Konzept ab: Fünftklässler erarbeiten ganze Abschnitte, während sie bei Erstklässlern Textpassagen vorliest. Dabei geht sie auf die Spielfreude der Kleineren ebenso ein wie auf das Fremdeln noch junger Klassengemeinschaften.

„Schüler, die hier wohnen, müssen Theaterluft schnuppern“

Gisela Nögel ist Musiklehrerin an der Antoniusschule und seit 2013 Singleiterin bei der Singpause an Wuppertaler Grundschulen. Mehr als 300 Kinder aus vielen Nationen besuchen die Grundschule, die fußläufig von der Oper entfernt liegt. „Schüler, die hier wohnen, müssen Theaterluft schnuppern, kulturell Fuß fassen“, ist Nögel überzeugt, die selbst als Kind ans Theater herangeführt wurde. Aus eigener Erfahrung weiß: „Was man in dieser Zeit kennenlernt, vergisst man nicht.“ Sie freut sich über das vielfältige Education-Angebot der Bühnen, das sich mittlerweile herumgesprochen habe und immer besser bei den Schulen ankomme. So auch den Bühnen den Nachwuchs sichern helfe. „Das Interesse der Schulen ist gestiegen, die Nachfrage wächst“, bestätigt Sylvia Martin.

Krönender Abschluss der Vorbereitung ist der Besuch der Aufführung. Dann erfahren die Kids auch, ob die Gräfin ihren Sohn als rechtmäßigen Erben des Titels gegen Cedric durchsetzen kann, oder ob es ein Happy End für den kleinen Lord gibt.