„Das ist jetzt mein neues Zuhause“

Ein Hospiz in Krefeld ermöglicht Todkranken, ihre letzten Wünsche zu erfüllen, und begleitet sie auf ihrem schweren Weg.

Foto: Dirk Jochmann

Ein Jahr lang hat sich Henriette Bogan mit dem Gedanken auseinandergesetzt, ins Hospiz zu ziehen. Vor etwa einem Jahr traf sie die Diagnose Brustkrebs, Metastasen haben sich gebildet — es besteht keine Hoffnung. Nach außen wirkt sie, als könne ihr der Brustkrebs nichts anhaben. „Die Krankheit, die tue ich so weg“, sagt sie. „Ich konzentrier mich auf das, was ich noch kann.“

Als sie vor zehn Tagen ins Hospiz am Blumenplatz in Krefeld einzog, hat es sie überwältigt. Der 81-Jährigen stockt die Stimme, wenn sie an diesen Tag denkt. Dabei schwärmt sie vom Haus: „Der menschlichste Ort. Hier habe ich noch kein einziges mürrisches Gesicht gesehen“, sagt sie und lächelt. „Die lesen einem die Wünsche von den Augen ab und ich kann über alles sprechen.“ Und das tut Henriette, die lieber Henny genannt werden möchte, sehr gern. „Mein Mann war der ruhende Pol. Ich bin eher ein wüster Wirbelwind.“ Er ist vor vier Jahren verstorben. Ihr Sohn lebt in Bonn — er ist ihr einziger Angehöriger. Als seine Mutter gestürzt war und blaue Flecken davongetragen hatte, wollte er nicht, dass sie nachts allein bleibt. „Was soll ich auch die ganze Zeit allein sein. Das ist jetzt mein neues Zuhause.“

Ihre Wohnung hat sie nicht gekündigt. Da würde sie am liebsten zurück, „aber ich glaub da nicht dran.“ Einige wenige persönliche Sachen sind schon im Zimmer: Blumen und Bilder von Städtereisen mit ihrem Sohn — zum 80. Geburtstag ging es nach Rom. Oder nach Berlin und Hamburg. „Ich liebe Berlin und in Hamburg sind so tolle Musicals.“ Theater, das war zuletzt ihre Leidenschaft. Ihr Mann war Statist am Krefelder Theater — sie konnte als Schließerin anfangen und blieb zehn Jahre. „Die Märchen mit den vielen Kindern, das war so schön, da denke ich heute noch gern dran.“ Henny erzählt gerne lang und ausführlich und hat dabei ein Lächeln auf den Lippen. „Man muss aussortieren, die schlechten Erinnerungen wegstreichen.“

Gelernt hat sie nach der Schule nichts, „das war damals so, Mädchen sollten den Haushalt schmeißen.“ Sie konnte im Devotionaliengeschäft ihres Vaters als Verkäuferin anfangen — später hat sie in der Filiale eines bedeutenden Schuhhandels gearbeitet. „Ich war immer selbstbestimmt. Hab gedacht und gesagt was ich wollte“, betont sie. „Ich hab das Glück, dass ich noch allein zur Toilette kann.“ Sie streicht über ihr schulterlanges Haar — der Friseur war gestern da. Die Einrichtung macht einiges möglich, da gehört der Haarschnitt zu den kleinen Dingen.

„Wir möchten schöne Augenblicke schaffen“, sagt Hospizleiter Alexander Henes. Mal ist es ein Zoobesuch mit der Familie, mal das Leibgericht: „Meistens wünschen sich die Gäste etwas sehr Bodenständiges, Bockwurst mit Kartoffelsalat oder Currywurst mit Pommes“, so Henes. Dann wiederum ist es der letzte Ausflug an die Nordsee, samt Pflegekraft, oder ein Auftritt der liebsten Cover-Band in der Kapelle des Hospizes. „Wir versuchen, die Wünsche zu erfüllen“, sagt Karin Meincke, Vorsitzende der Hospiz-Stiftung. Alles wird durch Spenden finanziert. „Wichtig ist nicht die Diagnose, der Mensch steht im Vordergrund“, sagt Meincke. Angehörigenarbeit sei im Haus sehr wichtig, sagt sie. „Damit Sterbende und ihre Angehörigen zu einem guten Ende finden.“

Hennys Sohn ist jedes Wochenende in Krefeld. Dann sprechen sie nicht über den Brustkrebs, sondern über die schönen Erinnerungen — über die Rom-Reise oder die Zeit im Theater. Jeder könne was erzählen, meint Henny. „Jedes Leben ist spannend, je nachdem was man draus macht.“ Jetzt möchte sie das Beste aus der verbliebenen Zeit machen.