Wuppertaler Stadtgeschichte Das Jahr ohne Sommer und die Hungerkrise
Der Vulkanausbruch 1815 führte zu Missernten. Erst ein neues Sozialsystem linderte die Not.
Wuppertal. Vor 200 Jahren gab es eine der letzten großen Hungerkrisen in Mitteleuropa. Sie traf auch das Wuppertal mit voller Wucht. Für die Boomtowns an der Wupper war die Ursache völlig untypisch.
Ein gewaltiger Ausbruchs des Vulkans Tambora auf der indonesischen Insel Sumbawa und 160 Kubikmeter Asche in der Atmosphäre waren verantwortlich für einen temporären Klimawandel. 1816 lag die Durchschnittstemperatur bis zu 3 Grad niedriger. Dauerregen, Unwetter, Überschwemmungen: Es wollte einfach nicht Sommer werden.
Die Abkühlung des Weltklimas hielt bis 1819 an. Entsprechend schlecht waren Getreide- und Kartoffelernten, was die drastisch Preise in die Höhe trieb. Die Wuppertaler, genauer gesagt die Arbeiter, hungerten. Viele Menschen litten bis ins Folgejahr an Unterernährung, wurden krank, starben.
Professionelle Sozialfürsorge gab es noch nicht, nur die Mildtätigkeit des Bürgertums. In Elberfeld und Barmen wurden mit Aktienkapital sogenannte Kornvereine gegründet, die Getreide verbilligt an Bedürftige verkauften. Das rettete einigen das Leben.
Viele konnten selbst das nicht mehr zahlen und hungerten weiter. Die Pfandhäuser erhielten Zulauf, die Bettelei stieg an. Der Anteil der Armen lag in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei bis zu 50 Prozent, stellte der Stadtrat Barmen 1830 rückblickend fest.
Das änderte sich erst mit der „Erfindung“ eines neuen Modells der Sozialfürsorge, dem berühmten „Elberfelder System“, das ab 1853 die „Armenpflege“ in einer Kombination von Mildtätigkeit und Disziplinierung, von Ehrenamt und städtischer Organisation systematisch auf breitere Füße stellte: Ein „Erfolgsmodell“, das die Unterstützungsquote dauerhaft auf 5 Prozent drückte, in den meisten deutschen Städten übernommen und sogar in Moskau und Budapest kopiert wurde.