Das Kino, das Leben, die Stadt
Misere: Da war es nur noch eins: Der Filmstadt Wuppertal gehen die Kinos aus. Langsam – aber sicher.
Wuppertal. Jetzt haben wir den Salat, die ersten Tränen sind bereits geflossen. Wuppertal droht trotz des Rufs als Filmstadt bei knapp 360 000 Einwohnern von nur noch einem einzigen Kino bedient zu werden.
Ob es im Cinema weitergeht, steht wegen finanzieller Schwierigkeiten derzeit in den Sternen. Dabei gehört eben dieses Programmkino mitsamt seiner traditionell nicht gerade üppigen Finanzausstattung in die Reihe derjenigen Stätten, mit denen unvergessliche Erinnerungen verknüpft sind. Wo sonst spendete das Publikum mitten während der Filmvorführung Sonderapplaus für den brillanten Gérard Depardieu und die bezaubernde Andy Mac Dowell in "Green Card"?
Und das Cinema bot weitere Möglichkeiten: Wer den einen Autorenfilm nach rund 20 Minuten nicht mehr ertragen konnte, der schlich sich einfach heimlich in den Vorführraum nebenan und sah den anderen Streifen. Meistens blieb der Ortswechsel auch unbemerkt. Autorenfilme gab es früher nämlich reichlich, gerne aus Frankreich.
So tief in die Trickkiste griffen die Besucher sonst nur beim Besuch des Autokinos. Ein Ort, an dem so viele junge Erwachsene den ersten blanken Busen ihres Lebens sahen - entweder auf der Leinwand oder im Auto. Internet und Privatfernsehen gab es ja noch nicht. . .
Sparsame Eltern nutzen übrigens die Hektik der Kontrolleure - bedingt durch eine lange Warteschlange an der schmalen Einfahrt -, um den Sprössling unter einer Wolldecke im Kofferraum des Kombis reinzuschmuggeln. Auch das blieb meistens unentdeckt. Die Strafe folgte erst daheim, wenn der Nachwuchs nachts nicht schlafen konnte, weil er an der Schwelmer Stadtgrenze mal wieder einen Film gesehen hatte, der nicht wirklich für sein Alter geeignet war. Unvergessen sind natürlich auch die kultigen Heizungsanlagen und die Pommes-Angebote im Autokino.
Längst nicht mehr geöffnet ist auch das TaG. Das steht für Theater an der Gathe. In stadtweit keinem anderen Kino kamen die Gäste derart ins Schwitzen. Gefühlt lag die Temperatur während der Sommermonate eigentlich durchgehend bei 50, 60 oder 70 Grad Celsius - oder wann fängt Wasser nochmal an zu kochen?
Temperaturprobleme waren es nicht, die den Fita-Palast in Barmen in die Knie zwangen. Die großen Glastüren, die immer zahlreicher werdenden Filmplakate, wenn Besucher unten die Hallen betraten, die eigenwillige Kasse, schließlich der selbst schon hollywoodreife Aufgang zu den Sälen. Kino-Atmosphäre für Buben: Davon gab es in Barmen reichlich.
Das Kino-Center an der Klotzbahn, später hieß es Mammats Movie World, war sozusagen der Elberfelder Gegenpart. Dort fand ohne Zweifel eine der weltweit schlechtesten Vorführungen der Rocky Horror Picture Show statt. Gerade einmal fünf zahlende Gäste, gähnende Leere, nicht einmal ein Anflug von guter Stimmung.
Dabei hatten ganze Horden jugendlicher Menschen in den Nachbarstädten gerade erst Kinosäle vorübergehend in die Unbrauchbarkeit gefeiert. Zu viel Reis, Mehl und Wasser waren während der Rocky-Party geflogen. In Elberfeld tickten die Uhren wohl irgendwie anders.
So auch an einem kalten Wintertag 1983, als eine Mutter ihren Sohn (9) und dessen besten Freund (8) in "Krieg der Sterne - Die Rückkehr der Jedi-Ritter" schleusen wollte. Doch der war eigentlich erst ab zwölf Jahren freigegeben, und die beiden Jungs konnten ohne vorpubertären Bartwuchs (oder Ähnliches) den rigorosen Kartenabreißer nicht überzeugen. Erst als die Mama immer lauter und vor allem die Schlange in der Kälte wartender Star-Wars-Fans zusehends länger wurde, winkte der genervte Kontrolleur die Knirpse durch. Die Macht war stark bei den beiden.
Damals, das sind aus cineastischer Sicht vor allem auch die 50er Jahre. Nicht enden wollende Menschenschlangen begehren Einlass ins Rex-Kino am Kipdorf. Davon können heutige Kinobetreiber nur noch träumen. Zu ihnen kommt auch kein Gary Cooper, um den Klassiker "Zwölf Uhr mittags" zu präsentieren. Ins Rex jedoch kam er. Und heute weiß niemand mehr genau, wie viele Teile von diesen Geschichten ins Reich der Legende gehören und was wirklich passiert ist. Jedenfalls pulsierte das Kino-Leben mitten in Wuppertal.
Das tut es auch heute noch gelegentlich - zum Beispiel bei Talflimmern, wenn eben solche Ur-Hollywood-Helden bei Open-Air-Veranstaltungen gezeigt werden. "Movie in Motion" ist solch eine Sonderschau in der Stadt. Da gibt es Filme an ungewöhnlichen Orten. Zum Beispiel Streifen mit Meerestieren als Hauptakteure - in der Schwimmoper.
Was bleibt, ist das Cinemaxx. Das setzt längst zusätzlich auf besonderen Service, zum Beispiel auf die Aktion Kino 50 plus. Eine Möglichkeit, Kino wieder zur Herzenssache zu machen. Denn sonst taugt es natürlich auch gut dafür zu beobachten, wie schwer es den Menschen mittlerweile fällt, einmal für eine ganze Filmlänge sitzen zu bleiben.