Operation am offenen Bild
Jedes der 150 Werke, die ab Sonntag im Von der Heydt-Museum zu sehen sind, geht durch die Hände des Restaurators.
Wuppertal. Der Patient ist tot, der Restaurator quicklebendig: Wer Andreas Iglhaut derzeit am Turmhof besucht, der meint, nicht im Von der Heydt-Museum, sondern an einem Seziertisch gelandet zu sein. Doch keine Angst: Der mobile OP-Tisch, der während des Aufbaus der Symbolismus-Schau mitten in den Ausstellungsräumen steht, ist keine Bedrohung für zweibeinige Besucher.
Er ist reserviert für viereckige Bilder. Und für Andreas Iglhaut, der alles griffbereit hat, was er für die Operation am wertvollen Werk benötigt: weiße Handschuhe, Mikroskop, Taschenlampe.
Natürlich existiert auch eine "Krankenakte", denn auf jedes der 150 Exponate, die ab Sonntag im Museum zu sehen sind, ist Iglhaut eingestellt - von Kopf bis Fuß, von Leinwand bis Rahmen.
In einem Ordner ist alles fein säuberlich festgehalten: Foto, Herkunft und Heimat des Gemäldes. Was dem Patienten fehlt, wird prompt notiert. Denn erst wenn alle Makel dokumentiert sind, dürfen die Meisterwerke endgültig ins Museum einziehen.
Statt einer OP-Schwester weiß Iglhaut an diesem Vormittag einen Herrn an seiner Seite. Der Kurier aus Schaffhausen wacht mit Argusaugen darüber, dass ein betagter Schatz aus dem Museum zu Allerheiligen, Johann Heinrich Füsslis "Queen Mab" (1814), würdig empfangen wird.
Iglhaut hingegen überprüft, ob die alte Dame den Transport unbeschadet überstanden hat: "Wir protokollieren den Zustand beim Ein- und Ausgang, damit es nachher nicht heißt, ein Gemälde sei bei uns beschädigt worden."
Heißt das, im Kunst-Krankenhaus werden schon mal die Messer gewetzt? Iglhaut, seit 1991 Chef-Operateur im Museum, müsste es wissen, wehrt aber diplomatisch ab: "Im Idealfall läuft das sehr harmonisch ab."
Die "Queen Mab" scheint ein solcher Idealfall zu sein: Die Profis flüstern, als ob die Patientin schläft und durch Misstöne geweckt werden könnte. Am Ende ist die Diagnose harmlos: Die Oberfläche ist "leicht staubig", es gibt eine Wellung am Bildrand.
"Können wir noch die kleine Fehlstellung in der Rahmenfassung festhalten?", fragt Iglhaut vorsichtig. "Natürlich", ist die Antwort, und schon hat die Queen einen Schönheitsfehler mehr im Protokoll. Wie tröstlich für alle Menschen, die mit den eigenen Makeln hadern. Wertvolle Gemälde sind auch nicht perfekt.
"Gewisse Alterungsprozesse lassen sich nicht aufhalten, schon wegen der Licht- und Klimaeinflüsse nicht", weiß Iglhaut. Entscheidend ist nur, ob Unebenheiten Risse oder bloß Altersflecken sind. Doch egal, wie viele Falten sie haben: Liebevoll spricht der Restaurator von seinen Patienten. Für den Mann mit dem Blick fürs Detail sind sie keine tote Materie, sondern eine Herausforderung.
"Das Ritual ist immer gleich, aber jede Ausstellung anders", schwärmt Iglhaut von den Farben und Formen, die durch seine Hände gehen. "Einen grauen Alltag kenne ich nicht, man entdeckt immer wieder Neues." Selbst an alten Meistern. "Ohne die wäre ich nicht zu meinem Beruf gekommen. Spannend finde ich aber vor allem die Moderne. Da gibt es so vielfältige Materialien!"
Und Abwechslung gibt es auch: Als Depotverwalter Ulrich Schultz einmal eine Klimakiste öffnete, die Leihgaben während der Reise von einem Museum zum anderen vor Temperaturschwankungen bewahren soll, staunte er nicht schlecht. "Da war ein ganz anderes Bild drin, als wir erwartet hatten." Die Spedition hatte die Kisten vertauscht . . .