„Dass es damals besser war, möchte ich nicht sagen“

Ilse Rahmann führt seit 50 Jahren eine Reinigung an der Berliner Straße. Von dort hat sie einen guten Blick auf die Entwicklung des Stadtteils.

Foto: Stefan Fries

Oberbarmen. In einem Umfeld, das sich in den vergangenen Jahrzehnten enorm verändert hat, ist Ilse Rahmann mit ihrer Reinigung eine Konstante an der Berliner Straße. Vor 50 Jahren, am 2. Mai 1968, hatte die damals 26-jährige Mutter von vierjährigen Zwillingen in Höhe des Wupperfelder Marktes an der Berliner Straße 75 ihre Reinigung eröffnet. Zu Beginn habe es gleich so viele Textilien zu säubern gegeben, dass der Arbeitstag für sie erst nach 14 Stunden endete. „Für die Einrichtung der Reinigung habe ich damals einen Kredit über 80 000 DM aufgenommen“, erinnert sich die heutige Seniorin.

„Anzug 5 DM, Rock 3,50 DM“ war unter anderem auf ihrem ersten Plakat im Schaufenster angebrachten Plakat zu lesen — mit dem Zusatz „Alles handgebügelt“. Schon damals legte Rahmann großen Wert auf exakte Arbeit. „Bitte mit Ruhe und Liebe bügeln“, steht auf einem Plakat über dem Bügelbrett. Ein Rat, der bei ihren Mitarbeiterinnen Anneliese Kulka und Doris Gerhard nicht erforderlich ist. „Die beiden Damen sind seit 42 beziehungsweise 46 Jahren bei mir“, erzählt Ilse Rahmann. Und wie sie haben auch ihre treuen Helferinnen gesehen, wie die Berliner Straße ihr Gesicht im Laufe des halben Jahrhunderts verändert hat.

„Damals gab es in unmittelbarer Umgebung an der Berliner Straße die Deutsche Bank, die Commerzbank, die Dresdner, die Volksbank und die KKB. Geblieben sind nur die beiden Filialen der Stadtsparkasse“, erinnert Ilse Rahmann sich. Sie denkt mit einer gewissen Wehmut an die einstigen eleganten Fachgeschäfte wie Sport Weidenbach, Möbelhaus Döll, Polzenberg, eines der wenigen Hutgeschäfte in Wuppertal, Gardinen Schmidt oder als originelles Lokal das „Müllmuseum“.

„Die Berliner Straße war breiter und die Bürgersteige schmaler“, sagt Rehmann. Das Aussehen der rund anderthalb Kilometer langen Strecke der B7 hat sich verändert. „Die Straßenbahn fuhr in der Mitte der Straße an meinem Geschäft vorbei“, nennt sie auch eine andere charakteristische Veränderung der Verkehrsader, die jetzt durch einen baumbewachsenen Mittelstreifen geteilt wird.

Doch es ist nicht so, dass sie der Vergangenheit nachtrauert. „Dass es damals besser war, möchte ich nicht sagen. Anders war es.“ Und die fröhliche ältere Dame hat bei dem Umbau der Berliner Straße mit Erlaubnis der Arbeiter nicht nur drei Pflastersteine selbst gelegt, sondern sich auch mit der neuen Umgebung und den Nachbarn angefreundet. „Ich esse jetzt mittags meine Pizza beim Griechen, beim Syrer liebe ich die kleinen Fladen und habe zu allen hier im Umfeld ein gutes Verhältnis“, erzählt sie. Der türkische Händler nebenan sei „eine Seele von einem Menschen“. „Einen netteren Nachbarn könnte ich mir gar nicht vorstellen. Sie sehen also, dass ich bestens integriert bin“, sagt Rahmann mit einem Lachen.

Seit 50 Jahren ist sie an der Berliner Straße und seit 45 Jahren in ihrem jetzigen Ladenlokal mit der Nummer 79, das vorwiegend von Stammkunden besucht wird. „Man muss sich Zeit für die Menschen nehmen“, legt die Inhaberin großen Wert auf ein angenehmes Geschäftsklima, beeilt sich aber zu sagen: „Wenn mir die Kunden etwas anvertrauen, dann müssen sie sich darauf verlassen, dass ich nichts weitererzähle. Vertrauen und Diskretion sind selbstverständlich.“

Vertrauen gehört auch dazu, wenn ihr Kleidung der Nobelmarken zur Reinigung gegeben werden. „Frau Rahmann ist einfach hervorragend“, lobt die Seniorin Hedwig Krahl, Kundin seit 30 Jahren, der Ilse Rahmann anbietet, ihr die gereinigten Textilien nach Hause zu bringen. „Wo findet man noch so einen Service? Da zahlt man gern etwas mehr als woanders.“

Doch Ilse Rahmann ist bei aller Vitalität stattliche 76 Jahre alt, ihre Mitarbeiterinnen zählen 72 und 79 Jahre. „Natürlich suche ich einen Nachfolger“, sagt die Dame, die morgens um 9 Uhr das Geschäft aufmacht, während der Arbeitstag mit dem Bedienen der Maschine bereits um 7 Uhr beginnt. „Aber, das ist schwierig. Am liebsten würde ich mich klonen lassen wie das Schaf Dolly.“