„Kritische Liebe muss erlaubt sein“
Rollentausch: Helge Lindh (SPD) befragt WZ-Lokalchef Lothar Leuschen zum Thema Pressefreiheit.
Normalerweise beantwortet der Politiker die Fragen des Journalisten. Zum internationalen Tag der Pressefreiheit am Donnerstag, 3. Mai, haben wir die Rollen mal vertauscht. Wie steht es eigentlich um die Pressefreiheit und welche Rolle spielt diese für die Demokratie? Darüber sprach der Wuppertaler SPD-Bundestagsabgeordnete Helge Lindh mit dem stellvertretenden WZ-Chefredakteur und Wuppertaler Lokalchef Lothar Leuschen.
Wie gut steht es um die Pressefreiheit?
Leuschen: Außerordentlich gut. Weder der Staat noch die AfD können die Pressefreiheit in Deutschland gefährden. Allerdings wird es durch die Entwicklungen im Internet nicht leichter.
Gibt es Grenzen der Pressefreiheit in Deutschland?
Leuschen: Grundsätzlich nicht. Es gibt Grenzen, die Menschen selbst setzen, das sollte man aber nicht mit Unfreiheit verwechseln.
Nun bildet auch die WZ in Wuppertal die vierte Gewalt. Wie viel Macht hat die WZ?
Leuschen: Wir sind die einzige Tageszeitung in Wuppertal. Wir stellen Öffentlichkeit her und liefern kritische Berichte. Genau wie wir tragen auch Parteien, Verwaltung oder Verbände zur Meinungsbildung bei. Öffentlichkeit herzustellen bedeutet nicht, selbst Herrschaft auszuüben.
Sind Ihre Berichte auch Lobbyarbeit für Wuppertal?
Leuschen: Wir haben als Lokalzeitung die Aufgabe, über das Geschehen in Wuppertal zu berichten. Dabei schreiben wir mehr Gutes als Schlechtes. Wir begleiten das Gute, schreiben aber auch, wenn etwas nicht gut läuft. Ich sehe da keine Gefahr von Distanzlosigkeit oder Lobhudelei.
Ist kritische Liebe erlaubt?
Leuschen: Kritische Liebe muss erlaubt sein, sonst verlieren wir die Pressefreiheit.
Es gibt immer mehr Filterblasen, in denen sich homogen Gleichgesinnte gegenseitig in ihrer Meinung bestätigen. Wie begegnen Sie dem?
Leuschen: Indem wir Angebote machen, sich mit Fakten zu versorgen. Wir verbreiten keine Wahrheiten, sondern Nachrichten, auf deren Basis man sich eine Meinung bilden kann. Damit erreichen wir eine bestimmte Community zwar nicht. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass 80 Prozent der Deutschen von demokratischen Parteien erreicht werden können. Und wir müssen Wege finden, diese Menschen zu erreichen. Mit herkömmlichen Methoden klappt das allerdings immer weniger.
Wie aufnahmefähig sind die Menschen in der heutigen Medienwelt überhaupt noch?
Leuschen: Der Diskurs ist anstrengend, aber er bringt auch mehr. Viele koppeln sich davon ab, aber das war vermutlich immer schon so. Nur gab es früher noch den Stammtisch und andere Diskussionsformen, bei denen man auch mal mit anderen Meinungen konfrontiert wurde. Wie wir diese Menschen erreichen können, ist eine Frage, die die Gesellschaft lösen muss. Sonst werden am Ende nur noch wenige Menschen Politik machen.
Ich habe gerade auch selbst Erfahrung mit Hassbotschaften nach einem Fernsehinterview gemacht. Wie sollten Gesellschaft und Politik auf solche Einschüchterungsversuche reagieren?
Leuschen: Man muss dem Grenzen setzen. Es leben über 80 Millionen Menschen in Deutschland und es muss Regeln geben zum Umgang miteinander. Die Meinung anderer muss akzeptiert werden. Es darf nichts unter die Gürtellinie gehen. Wenn dagegen verstoßen wird, müssen wir das sagen und dürfen es nicht ignorieren. Die Gesellschaft muss dann sagen: Jetzt reicht’s!
Nicht ignorieren?
Leuschen: Nein, denn dann bleibt das Problem.
Die WZ hat ja kürzlich bei einer Veranstaltung in Solingen selbst über das wichtige Thema Fake News informiert. Gibt es eine Form der Instrumentalisierung von Medien durch Politik?
Leuschen: Da ist Sensibilität wichtig. Da müssen wir als Gesellschaft hinschauen. Warum haben Fake News-Kampagnen Erfolg? Es liegt an der Nachrichtenkompetenz vieler Bürger, die Fakten nicht von Meinung unterscheiden können. Klar, das ist anstrengend. Man muss sich intensiv damit auseinandersetzen, um dem nicht auf den Leim zu gehen. Nur es ist schwierig, in dieser Hinsicht etwas zu erreichen, wenn viele sich nur noch ihre eigene Meinung bestätigen lassen.
Die Zeitung Die Welt hat ja die Kampagne „Free them all“ für Journalisten gestartet, die weltweit in Haft sitzen. Ist die deutsche Öffentlichkeit zu desinteressiert an der Gefährdung der Pressefreiheit?
Leuschen: Wir leben in einem Land, in dem es uns gut geht. Es gibt keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Solche Kampagnen sollten sich nicht nur auf Journalisten beziehen. Wir leben in Deutschland in Wohlstand, Frieden und Freiheit. Nur wird das nicht mehr so wertgeschätzt wie zu dem Zeitpunkt, wenn diese Freiheiten nicht da sind.
In den USA agiert Präsident Donald Trump sehr problematisch in Hinsicht auf die Medien. Gucken wir zu sehr auf Trump?
Leuschen: Die USA haben ein anderes System. Wir sollten Trump nicht zu ernst nehmen, denn Staat, Führung und Medienarbeit unterscheiden sich deutlich. Trump will für seine Haltung Akzeptanz erzwingen, hat aber auch Millionen Menschen mit anderen Meinungen unter sich, und er versucht, alles andere als Fake News darzustellen. Das ist hier anders.
Haben Sie schon einmal Zensur erlebt?
Leuschen: Nur von Seiten der Politik (lacht). Als junger Journalist war ich zum Gespräch bei Klaus Kinkel und sollte ihm den Text hinterher vorlegen. Ich habe es zunächst abgelehnt, es ließ sich aber nicht vermeiden. Hinterher habe ich mich zensiert gefühlt, obwohl kaum etwas im Text geändert wurde. Seitdem habe ich persönlich Schwierigkeiten mit Autorisierungen, weil das für mich Misstrauen zeigt. Und hinterher werden die Antworten weniger authentisch und Interviews verlieren an Wert. Haken und Ösen haben wir doch alle und das sollte auch gezeigt werden.
Wie erklären Sie sich dieses Misstrauen?
Leuschen: Es ist eine Angst vor Spontaneität. Hinzu kommt der Wunsch nach Geschmeidigkeit. Journalisten und Öffentlichkeit fahren aber besser, wenn sie zeigen, dass nicht alles perfekt ist.
Es gibt ja die Debatte, was im Internet gelöscht werden muss. Da stehen sich Hassbotschaften und Meinungs- und Pressefreiheit gegenüber...
Leuschen: Die Meinungs- und Pressefreiheit sind hohe Güter, die wir schützen sollten. Es sind Regelwerke, um die Freiheit zu erhalten. Wir berichten über Dinge, die sich nicht gut entwickeln, aber persönliche Beleidigungen und rassistische Kommentare haben im Internet nichts verloren.
Haben Sie schon einmal Anfeindungen erlebt?
Leuschen: Ja, aber ich wurde noch nicht bedroht. Es gibt Leute, die mich nicht leiden können, aber das ist okay. Entweder man teilt die Meinung des anderen oder nicht und wenn nicht, ist es schön, wenn eine Debatte entsteht. Protokoll: Andreas Eichhorn