Ein Autist erzählt von einem Leben ohne Emotionen

Julian Leske (26) gab an der Bergischen Uni faszinierende Einblicke in den Alltag eines Autisten. Erst mit 18 Jahren hat er die Diagnose bekommen.

Foto: Andreas Fischer

Ein offensichtlich selbstbewusster schlaksiger, junger Mann in Jeans und dunklem Jackett steht im Hörsaal der Wuppertaler Universität vor zahlreichen Studierenden der Fachschaften Sport und Psychologie und beginnt seinen Vortrag mit den Worten: „Ich bin Autist. Aber was noch wichtiger ist, ich bin Wuppertaler.“

„Leben mit Autismus — Ein autobiografischer Alltagsbericht“, diese Überschrift hat Julian Leska (26) den folgenden 90 Minuten gegeben, in denen er seinen Zuhörern offen und vielleicht deshalb so berührend schildert, wie sein Leben bisher verlaufen ist. „Ich hatte diffuse, körperliche Einschränkungen, zum Beispiel Gleichgewichtsstörungen, habe spät laufen gelernt. Die Kita, die sich integrativ nannte, habe ich geregelt bekommen“, sagt er und kann sich an die Spiele erinnern, die er zu Hause geliebt hatte. Zum Beispiel an jede Tür, an jedes Fenster Seile zu befestigen, um die Griffe zu stabilisieren.

Julian Leske

Erst mit 18 Jahren habe er die Diagnose bekommen, Autist zu sein, am Asperger-Syndrom, der leichteren Form des Autistik-Spektrums, zu leiden. Meine Mutter hat sich durchgesetzt, so dass ich die Hauptschule — mit Zivi-Betreuung — besuchen konnte. „Ich habe dann gemerkt, dass ich es schaffen kann, wenn ich meinen Grips zusammennehme. Außer bei Mathematik und im Sport. Das war eine wöchentliche Demütigung, denn im Sport herrscht immer eine Konkurrenzsituation. Ich wurde bei den Ballspielen natürlich immer als Letzter gewählt.“

Das Fach Politik habe er später aber geliebt. Da habe der Lehrer einen Doktortitel gehabt: „Und ich liebe Menschen mit Titeln.“ Den Eltern sei der Verdacht gekommen, dass ihr Sohn Autist sein könnte, als Julian zwölf Jahre alt war. Sie hätten versucht, ihm zu helfen, ohne ihm davon zu erzählen. „Und das war gut so. Wenn ich es damals schon gewusst hätte, hätte ich wahrscheinlich alles, was nicht geklappt hatte, darauf geschoben, statt mich anzustrengen“, sagt Julian, der inzwischen als Verwaltungsfachangestellter arbeitet.

„Eine Familienfeier war dann der Wendepunkt. Da habe ich eher versehentlich davon erfahren, habe dann die Punkte, die einen Autisten ausmachen, mit mir verglichen. Und je mehr Kreuzchen ich machte, desto sicherer wurde ich.“

Dann habe er versucht, das, was ihm an Empathie fehlt, durch korrekte Sprache auszugleichen. „Die soziale Wahrnehmung fehlt mir. Ich sehe die Dinge immer erst auf sachlicher Ebene, danach kommt die Emotion. Das ist verschoben bei mir.“ Als Beispiel schildert er die Situation, als ihm seine Mutter von dem schweren Verkehrsunfall der Oma erzählt hatte: „Ich habe als erstes das Problem gesehen — wer kocht jetzt.“ Das sei eine ur-autistische Betrachtungsweise, das maximale Ich. Heute könne er das reflektieren.

Für ihn als Schüler sei es wichtig gewesen, dass der Unterricht systematisch gestaltet wird, Vereinbarungen getroffen werden. „Die Inklusion steht und fällt mit den finanziellen Mitteln. Es braucht Lehrer und Umbauten.“

Das Thema Liebe bezeichnet Julian bei seiner Behinderung als hochkomplex. Es würde ja bedeuten, dass er sich auf einen Menschen dauerhaft einlassen müsse. Romantische Annäherungen würden schon daran scheitern, dass er Aufmerksamkeiten gar nicht registrieren und Mimik und Gestik nur schwer interpretieren könne. „Ich möchte keine Kinder in die Welt setzen. Wie soll ich denn positiv auf sie eingehen, wenn ich Emotionen nur in der Theorie kenne.“