Der Zuschauer und der Blick des Blinden in die Welt
„Alpenglühen“ heißt das letzte Stück, das das Wuppertaler Schauspiel in dieser Spielzeit aufführt. Premiere ist am 29. Juni.
Am Ende der Spielzeit ist die Bühne im kleinen Theater am Engelsgarten gut gefüllt, bevor sie sich wieder Schritt für Schritt leert. Womit sich der Kreis schließt, denn die Saison 2017/2018 begann mit leerer Bühne und Shakespeares „Der Sturm“. Der englische Dichter kommt auch bei der letzten Premiere durch „Romeo und Julia“ zu Wort. In Peter Turrinis komödiantisch-dramatisch-philosophisch-gesellschaftskritisch-volkstümlichem Stück „Alpenglühen“. Das viele Themen erzählt, die auch die Wuppertaler Spielzeit hatte. Das die Zuschauer immer wieder in die Irre führt. Die Wuppertaler um das „Der Sturm“-Team Marcus Lobbes (Regie und Bühne), Pia Maria Mackert (Kostüme) und Barbara Noth (Dramaturgie) setzen noch eins drauf. Was genau, wollen sie vor der Premiere am 29. Juni nicht verraten.
Das Schauspiel gibt Gas, lässt zwei Wochen nach „Die Glasmenagerie“ die nächste Premiere folgen. Was einerseits logistische Gründe hat, andererseits durchaus planvoll und mit Absicht geschieht. „Es ist schon gut, dass wir am Ende der Spielzeit noch mal groß auftreten, das ist auch ein Zeichen“, sagt Intendant Thomas Braus, der bei „Alpenglühen“ wieder mit auf der Bühne steht. Das Stück ist eigentlich für vier Personen gedacht, beteiligt in Wuppertal das ganze Ensemble — teilweise wird es via Ton und Video eingespielt. Auch die Zuschauer werden einbezogen; als vielstimmiger Chor, der österreichisches Liedgut intoniert. In die Hauptrollen des Blinden und seiner Besucherin Jasmine schlüpfen Stefan Waltz, der mittels Brille tatsächlich nichts sehen soll, und Philippine Pachl.
Die beiden begegnen sich in einer einsamen Berghütte in den österreichischen Alpen, wo der alternde Mann lebt, im Dienste des Fremdenverkehrs die Stimmen alpiner Tiere imitiert. Er kann nichts sehen und sehnt sich den Besuch einer einfühlsamen, gebildeten, jungen Frauen herbei. Die kommt auch, und es entspinnt sich ein vielseitiger Dialog über die Frage nach dem Glück. „Wir haben ihre Dauermonologe gekürzt und dafür Stücke aus den umfangreichen Regieanweisungen Turrinis eingesetzt“, erklärt Lobbes. Was soll ein Blinder auch mit Regieanweisungen anfangen.
Ansonsten aber halte man sich an die Vorlage des österreichischen Autors (Jahrgang 1944), das 1993 im Wiener Burgtheater unter Claus Peymann uraufgeführt wurde. Jedenfalls was die Länge von einer Stunde und 40 Minuten angehe. Solange dauert die Reise, die die Zuschauer durch die Möglichkeiten theatralischer Darstellungsmöglichkeiten unternehmen. Turrini, der sich selbst einen Heimatdichter nannte und für seine provokaten (Volks-)Stücke bekannt wurde, setzt das Stück aus drei Teilen zusammen, die man „Der Opa und die Hure“, „Der Nazi und die Sekretärin“ und „Die Theatermacher“. betiteln könnte.
In Wuppertal sehen die Besucher erst mal nichts — damit sie sich in den Kopf des Blinden versetzen können, die „Welt oder das Alpenpanorama im Kopf anschmeißen“, meint Lobbes. Also wie Hauptdarsteller Waltz — der nichts sieht oder etwa doch? Barbara Noth erklärt: „In der Realität wird viel behauptet, was nicht der Wahrheit entspricht. Im Theater ist von vornherein klar, dass alles Schwindel ist, und wir kommen am Ende zu einer eigenen Wahrheit.“ Schein oder Sein — auch dieses Thema passt perfekt zur Wuppertaler Spielzeit.
„Es wird überraschend und abwechslungsreich“, verspricht der Regisseur und: „Wir machen eine Menge Angebote.“