„Die Geschichte ist lange verdrängt worden“

Historiker Michael Okroy über die Deportierung von Wuppertaler Sinti und Roma.

Foto: Stefan Fries

Herr Okroy, der Verein zur Erforschung der sozialen Bewegung in Wuppertal plant für den 2./3. März Gedenkfeiern zu Erinnerung an die Wuppertaler Sinti und Roma, die von Wuppertal nach Auschwitz deportiert wurden. Sie beschäftigen sich als Historiker seit Jahren mit dem über Jahrzehnte vergessenen Thema. Wann haben Sie die ersten Hinweise entdeckt?

Michael Okroy: 1998 erhielt die Begegnungsstätte Alte Synagoge einen Hinweis auf Paul Kreber, der als Kripobeamter 1943 die Familie Weiss und weitere Wuppertaler Sinti vor der Deportation bewahrt hat. Das gab den Anstoß zu ersten Nachforschungen auf der Grundlage von bis dahin nahezu unbekannten und unerschlossenen Quellen. Dazu zählen der Bericht der Sinti-Familie, Aussagen aus Wiedergutmachungsakten, Personalakten der Polizeiverwaltung Wuppertal, Akten der Auschwitz-Lagerverwaltung, des Regierungsbezirks Düsseldorf, der Entnazifizierungsbehörde und des einstigen Reichsgesundheitsamtes. 2010 habe ich meine Recherchen und wichtigsten Funde, eine Namensliste und eine Behördenkorrespondenz über die Einrichtung eines kommunalen „Zigeunerlagers“ in Wuppertal, zunächst in einem Vortrag und 2012 in einer Fachpublikation präsentiert.

Warum gibt es so wenige Veröffentlichungen über das Schicksal der Sinti und Roma?

Okroy: Die Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma ist lange verdrängt worden. Ernstzunehmende Forschungen, auch für unsere Region, gibt es erst seit den 1990er Jahren. Für die Angehörigen dieser bis heute beargwöhnten Minderheit hat man nur wenig Mitgefühl und Interesse aufgebracht. In den letzten 20 Jahren hat sich einiges geändert, auch in Wuppertal. So wurde 2000 auf Initiative der Begegnungsstätte im Polizeipräsidium im Beisein der Söhne der Familie Weiss eine Gedenktafel für Paul Kreber enthüllt. 2002 widmete die Stadt den Gedenktag am 27. Januar den Sinti und Roma. 2004 entstanden im Auftrag der lokalen Initiative für Demokratie und Toleranz Materialien für die Schule zum Thema. Seit ungefähr 2010 recherchiert nun auch der Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen und lädt zu Gedenkveranstaltungen ein.

Der Verein zur Erforschung der sozialen Bewegung in Wuppertal plant eine Veröffentlichung zum Thema. Gegenüber der WZ hat der Autor Stefan Stracke angedeutet, dass die Wuppertaler Polizei bei der Deportation eine sehr unrühmliche Rolle gespielt habe. Er vermutet, dass es noch Akten darüber gibt. Wie sind da Ihre Erkenntnisse?

Okroy: Die zentrale Rolle der Kripo bei der Deportation der Sinti und Roma ist schon lange bekannt. Aber es gibt immer noch Forschungslücken, weil die Quellenlage für unsere Region nur bruchstückhaft ist. Ob noch relevante Akten im Präsidiumskeller lagern und möglicherweise absichtlich zurückgehalten werden: Nun, das klingt immer gut und auch ein bisschen nach Skandal. Es ist nicht ganz auszuschließen, aber, wie in vielen anderen deutschen Polizeipräsidien auch, eher unwahrscheinlich.

Der Wuppertaler Paul Kreber soll eine Sinti- und Roma-Familie versteckt und gerettet haben. Er war Mitglied der SS. Was haben Sie über ihn herausgefunden?

Okroy: Über eine SS-Mitgliedschaft habe ich keinen Nachweis, nur über seinen NSDAP-Aufnahmeantrag. Paul Kreber (1910-1989), ein gläubiger Katholik, war seit 1939 beim Polizei-Erkennungsdienst und nach meinen Erkenntnissen dort als „Zigeunersachbearbeiter“ der Kripo tätig. Deshalb hatte er Zugang zu allen Listen, mit deren Hilfe die Sinti und Roma registriert, verhaftet und deportiert worden sind. Über seine Frau Margarete kam er in Kontakt mit der Familie von Hugo und Antonie Weiss und anderen. Man gewann Vertrauen zueinander. Als am 3. März 1943 die Sinti und Roma aus dem bergischen Raum in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verschleppt werden sollten, konnte Kreber die siebenköpfige Familie davor bewahren, vermutlich durch Manipulation der Deportationsliste. Andere Sinti ließ er zuvor warnen und eröffnete ihnen so die Möglichkeit, unterzutauchen.