Religionsgespräch Die Weihnachtsbotschaft lautet: Fürchtet euch nicht

Ein Katholik, ein Protestant und ein Moslem sagen, was das Fest bedeutet, was es ausmacht, wo es die Religionen verbindet und warum wir an Weihnachten grundsätzlich eher milde gestimmt sind.

Foto: Kurt Keil

Wuppertal. Deutschland ist aufgewühlt. Vor ein paar Tagen das Attentat in Berlin, heute Heiligabend, Weihnachten, das Fest der Liebe, der Familie. Was bedeutet das alles? Wie sollen die Menschen das alles unter einen Hut bekommen, verstehen? Welche Konsequenzen sollen sie daraus ziehen? Was hat Weihnachten damit zu tun? Hat es überhaupt etwas damit zu tun? Über all das unterhielten sich der Synodalassessor des evangelischen Kirchenkreises Wuppertal, Jochen Denker, der Pastoralreferent von der Katholischen Citykirche Wuppertal, Werner Kleine, und der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime NRW, Samir Bouaissa, jetzt in der Laurentiuskirche.

Für Werner Kleine ist es ein „interessantes Phänomen“. Aber es ist für Christen nicht das wichtigste Fest. Ostern, das Fest der Auferstehung, und Pfingsten, das Fest des Heiligen Geistes, der den Jüngern Jesu erscheint, sind wichtiger. Aber gesellschaftlich ist Weihnachten bedeutender. Kleine bezeichnet es als eine Zeit, in der sich die Gesellschaft synchronisiert. Alles läuft im hektischen Gleichschritt auf den 24. Dezember und die beiden Tage danach zu. Der Pastoralreferent vergleicht Weihnachten mit dem Finale einer Fußball-WM, auf das sich die gesamte Gesellschaft konzentriert.

Jochen Denker teilt diesen Vergleich, obwohl Weihnachten jedes Jahr und Deutschland nicht immer im Finale der Fußball-WM ist. Weihnachten verbinde die Menschen über alle Grenzen hinweg. „Wir spüren, dass uns der Retter geschenkt worden ist.“

Für Samir Bouaissa ist der 24. Dezember im Grunde ein Tag wie jeder andere. „Wir feiern nicht“, sagt er. Aber er genieße es, mehr Zeit für die Familie zu haben. Muslime kennen das Weihnachtsfest nicht. Für sie sind Fastenbrechen und Opferfest die wichtigsten religiösen Feiertage. Dennoch spielt Jesus im Islam eine Rolle. „Er ist ein wichtiger Prophet“, erklärt Bouaissa. Jesus werde eines Tages auf die Erde zurückkehren, den falschen Propheten, den Teufel besiegen und fortan als Sterblicher unter den Sterblichen leben.

Weihnachten ist ein emotionales Fest. Es ist ein Fest der Freude, des Schenkens, des Glanzes, der Lichter, der Familie. Werner Kleine definiert es als eine Zeit, in der die Menschen zusammenrücken. Das Weihnachtsbrauchtum habe ganz praktische Gründe, die auch daher rührten, dass es in der dunklen Jahreszeit stattfinde. „Ich freue mich, wenn die Menschen Spaß haben auf den Weihnachtsmärkten. Ich will nicht, dass wir den Menschen das madig machen.“ Das gehöre zur Fülle des Lebens, wie Johannes sie beschrieben habe.

Daran hat Jochen Denker seine Zweifel. „Die Fülle des Lebens ist nicht unbedingt auf Weihnachtsmärkten zu finden“, sagt er. Das sei nicht die Fülle, von der Johannes gesprochen habe. Für Denker hat Weihnachten eine andere Bedeutung. Es ist eine Art Verhaltensblaupause für den Rest des Jahres. Er erinnert an den Kriegswinter 1914. Damals stellten Soldaten an der Front das Schießen ein, weil an Weihnachten nicht gekämpft werden dürfe. „Weihnachten kann man keinen Krieg führen“, sagten die Soldaten. Aufgabe der Kirche sei es zu sagen, dass alles, was man Weihnachten nicht machen kann, auch an keinem anderen Tag gemacht werden dürfe.

Dass die Menschheit davon weit entfernt ist, begründet Samir Bouaissa mit der „Kehrseite des freien Willens, den Gott uns gegeben hat“. Manche träfen falsche Entscheidungen.

Als Fest der Nächstenliebe verbindet Weihnachten über alle Grenzen hinweg. So interpretiert Jochen Denker die Feier zur Geburt Jesu Christi. Für ihn leitet sich daraus ein Bildungsauftrag, der in Zeiten von Flüchtlingsströmen wichtiger zu sein scheint denn je. „Nächstenliebe ist nicht abhängig von Stimmungen. Sie ist ein Gesetz, ein Grundrecht des Anderen.“ Nächstenliebe sei ein Geschenk Gottes, das unser Leben auf der Erde erst möglich mache. Daraus leitet sich für ihn ab, dass Christus Frieden ist und Frieden ohne Christus nicht gelingen kann.

Werner Kleine sieht die Kernbotschaft des Weihnachtsfestes in der Botschaft des Engels für die Hirten: „Fürchtet euch nicht“. Das Gegenteil sei heute der Fall. Das Attentat von Berlin habe reflexartig zu Schweigeminuten geführt, die der Überwindung der eigenen Ohnmacht dienten. „Nichts ist mehr, wie es vorher war, hieß es sofort“, erinnert Kleine sich. Aber eigentlich sei am nächsten Tag schon alles gewesen wie vorher und das gleichwohl schreckliche Attentat nur eines, wie es überall auf der Welt und noch schlimmer vorkomme. Doch die Gesellschaft habe das Vertrauen in Gott verloren. „Wir machen uns Sorgen. Doch der Engel sagt, fürchtet euch nicht. Macht euch auf den Weg. Das Gute wird obsiegen.“

Wie ehrlich ist Weihnachten?

Das Ende des Ablasshandels war eine der zentralen Forderungen Martin Luthers. Der reformierte Protestant Jochen Denker will nicht ganz ausschließen, dass das Freikaufen vom schlechten Gewissen, dass gekauftes Seelenheil mit in den bunten Schachteln unter dem Christbaum liegt. „Aber als Überschrift über Weihnachten würde ich das nicht gelten lassen“, sagt er. In diesen Tagen spürten die Menschen, „dass uns die Geburt des Retters geschenkt worden ist“. Er sei gegen Fundamentalkritik am Weihnachtsfest. Er freue sich auch über jeden, der nur Heiligabend in die Kirche kommt. „Ich halte auch nichts davon, solche Besucher als U-Boot-Christen zu bezeichnen.“ Das seien regelmäßige Gottesdienstbesuche. „Man braucht den Weihrauchduft, die Ahnung des Göttlichen. Das ist etwas, das uns erreicht.“

„Es ist im Empfinden der Menschen das größte Fest“, sagt Jochen Denker. Er erinnert an Familien, in die gerade ein Kind hineingeboren worden ist. Das bringe eine besondere Stimmung mit sich. „Das ist ein Gefühl wie Weihnachten.“ Ein Säugling wecke nur Gutes im Menschen. „Wir haben vor fünf Monaten noch einmal Nachwuchs bekommen“, fügt Samir Bouaissa hinzu. Was Denker sage, sei wahr. „Wenn ich den Jungen auf dem Arm habe, sagt meine Frau, ich sei vollkommen entspannt.“

Für Werner Kleine ist Weihnachten auch eine Art Offenbarung. „Ich glaube, der Stress vor dem Fest gehört dazu. Da kommt etwas auf den Tisch, das manchmal auch zu Streit führen kann.“ Aber daraus ergebe sich ein Auftrag. „Wir haben jetzt ein Jahr Zeit, aufeinander zuzugehen.“

„Ich glaube, dass wir einfach zu wenig voneinander wissen“, sagt Samir Bouaissa. Er finde es faszinierend, was es von Jesus und dem Gebot der Nächstenliebe abgesehen in den Religionen an Gemeinsamkeiten gebe. Eine Parallele ist laut Kleine übrigens auch der Tannenbaum. Er kommt im Islam als Palmbaum vor.