Ein Umbruch im Tanztheater braucht Zeit
Wie geht es weiter mit dem Wuppertaler Tanztheater? Die wohl drängendste Frage, die sich nach dem Tod der übermächtigen Ausnahmekünstlerin stellt, kann selbst im innersten Heiligtum, in der gut gehüteten Schaltzentrale im bestens organisierten Pina-Bausch-Reich, noch niemand beantworten.
Zumindest nicht nach außen. Zu tief sitzt die Trauer, die das Ensemble derzeit zu verarbeiten versucht. Zu laut sind die Rufe derer, die betonen, dass nach Pina Bausch nichts Vergleichbares kommen könne. Zu groß ist die Lücke, die die charismatische Tanz-Revolutionärin hinterlässt.
Die Mitarbeiter des Tanztheater-Büros sind zurückhaltend, was offizielle Äußerungen betrifft - und das ist, bei aller Neugier, verständlich. Im Schockzustand ist keiner gut beraten, per Schnellschuss Pläne oder Namen zu verpulvern. Egal also, wo und wie sehr man in der Szene die Ohren spitzt: Bisher gibt es nur unbestätigte Spekulationen, individuelle Wünsche, einzelne Vermutungen. Marco Goecke wird in Insiderkreisen bereits als möglicher Nachfolger ins Gespräch gebracht - nicht nur, weil der junge Choreograph aus Wuppertal stammt.
Neben hypothetischen Mutmaßungen gibt es aber auch die handfeste Realität - und einen prall gefüllten Terminkalender mit weltweiten Verpflichtungen. Vor der über allem stehenden Nachfolge-Diskussion stellt sich deshalb zunächst ein ganz konkretes Problem: Wer übernimmt die künstlerische Leitung in der neuen Saison? Eine Frage, die noch nicht geklärt ist - so hieß es gestern im Tanztheater.
Wo in aller Welt das international gefeierte Ensemble auftritt, steht Jahre im Voraus fest. Dass der Spielplan mit einem solch großen Vorlauf geplant wird, entbehrt diesmal keiner Tragik: Die Saison wird ausgerechnet mit "Café Müller" eröffnet - einem Stück, in dem die Prinzipalin selbst tanzte. Die Lücke, die sie hinterlässt, wird damit sichtbar werden - deutlich und konkret. Rein theoretisch gibt es verschiedene Tänzerinnen, die den Part übernehmen könnten oder dies in der Vergangenheit bereits getan haben.
Praktisch gesehen steht noch nicht fest, wer es am Ende werden wird. Denkbar sei auch eine wechselnde Besetzung, heißt es im Theater - vielleicht auch ein Zeichen dafür, dass Pina Bausch tatsächlich niemals ganz zu ersetzen sein wird. Weitermachen, als sei nichts gewesen, wird deshalb nicht möglich sein. Nach einem Ausnahmetalent muss etwas ganz Neues kommen. Aber dafür braucht es Zeit. Bisher gibt es immerhin ein Signal: Es geht weiter. Und das ist, trotz aller Trauer und vieler offener Fragen, erst einmal ein gutes Zeichen.