Eindrucksvoller Appell für Frieden
Die „Lysistrata“-Urauführung in Müllers Marionetten-Theater bietet einen nachdenklichen und humorvollen Abend.
Das Thema ist todernst und kommt doch humorvoll daher. Aristophanes’ klassische Komödie „Lysistrata“, 411 vor Christus über den Krieg der Athener gegen die Spartaner geschrieben, der durch den Liebesentzug der Frauen beendet wird, hat schon viele verschiedene Inszenierungen erfahren. Müllers Marionetten-Theater fügt seine eigene, eindrucksvolle und ehrgeizige hinzu, die den Spagat meistert, Schwere und leichtfüßige Unterhaltung verbindet, Nachdenklichkeit ohne Zeigefinger herstellt. Die Besucher der ausverkauften Uraufführung am Freitag erlebten einen einzigartigen Abend. Einen Appell für den Frieden.
„Lysistrata“ steht schon lange auf der Wunschliste der Weißenborns, ist Herzensanliegen und Herausforderung zugleich. Im Jahr der Jubiläen (25, 30 und 35 Jahre) ihres Theaters war es im Spielplan gesetzt. Dabei war von vornherein klar, dass die Puppen diesmal Sendepause haben sollten. Zu groß schien die Gefahr, dass sie dem Thema nicht gerecht werden würden. Auch erarbeitete Günther Weißenborn in mehreren Anläufen eine Fassung, die leicht und humorvoll, zugleich anspruchsvoll und eben nicht banal-lustig ist. Schließlich wollen die Theatermacher darauf hinweisen, dass wir zwar „seit viele Jahrzehnten Frieden genießen dürfen“, andernorts aber, etwa in Syrien, Kriege toben. Weißenborn: „Wir sind von Toten umgeben, während wir hier sitzen, sterben Menschen.“
Und so schufen sie ein beeindruckendes Hörspiel, das Ursula Weißenborn und Markus Welz durch Live-Malereien an den Wänden des kleinen Theaters bildhaft umsetzten.
Eine Gruppe Zuschauer sitzt in der Mitte des Raums, durcheinander gewürfelt auf bunten (und harten) Stühlen. Eine weitere Gruppe findet in mehreren Reihen vor der geschlossenen Bühne Platz. Das Geschehen findet drumherum an den Wänden statt, die mit großen Papierbahnen beklebt sind. Darauf ein paar, an menschliche Silhouetten erinnernde, schwarze Linien — Umrisse ungelebter Leben, Schatten verängstigter Menschen, Spuren gesichtslos bleibender, anonymer Existenzen. Mit Kohle malen Weißenborn und Welz kleine Ornamente, Kringel, Kreise, Striche hinein. Sie tun es liebevoll, konzentriert, meditativ, füllen die Identitätslosen aus, geben ihnen Gestalt. Ab und an springt Welz auf, schmeißt sich heftig an eine freie Stelle an der Wand, lässt sich von Weißenborn ummalen. Ein weiterer Platzhalter.
„War is a game, that is played with a smile. If you can’t smile, grin. If you can’t grin, keep out of the way, till you can. (Krieg ist ein Spiel, bei dem man lächelt. Wenn man nicht lächeln kann, sollte man grinsen. Wenn man nicht grinsen kann, sollte man wegbleiben, bis man es kann).“ Der britische Premierminister Winston Churchill (1874-1965), der sein Land durch den Zweiten Weltkrieg führte, hat den entlarvenden Spruch geprägt. Welz schreibt ihn betont langsam an die Wand, schlägt den Bogen zu der damaligen Zeit und ihren namenlosen Opfern, zu Wahnsinn und Unmenschlichkeit militärischer Auseinandersetzungen. Lysistrata, Hauptfigur des Lustspiels, hat alle Söhne an den Krieg verloren.
Dennoch kommt das szenische Klangbild, das über eine Acht-Kanal-Tonanlage zur Vertiefung des Raumeindrucks abgespielt wird, nicht nur ernst rüber. Im Gegenteil, entlockt der Geschlechterkampf, der um den Frieden entsteht, immer wieder Lacher, sind die Dialoge fein gesponnen, pointiert, verständlich. Es macht Spaß, den zunehmend lächerlichen, durch Wochenschau-Fanfaren eingeleiteten Bekanntmachungen der männlichen Athener Stadtherrschaft oder den linkischen wie vergeblichen Annäherungsversuchen der Männer zu lauschen. Die gut abgestimmte Musikauswahl unterstreicht Dialoge und Stimmung.
Bleibt die Erkenntnis, die die Spartanerin Lampida ausspricht: „Frieden ist keine Spinnerei, Frieden ist vernünftig! Frieden ist notwendig!“