Eine Taiwanesin im Tal: Fasziniert von bunten Treppen und Plätzen

Szu-Wei Wu (28) aus Taiwan ist erfolgreiche Tänzerin und lebt gerne in Wuppertal. Beim Tanzfestival zeigt sie ihr Stück „Cernes“.

Wuppertal. Die Lebensringe eines Baumes sind die sichtbaren Überbleibsel einer Geschichte. Was ist in der Vergangenheit passiert? Eine Frage, die offen bleibt. Im Gegensatz zum Menschen trägt der Baum stumm seine Last mit sich. „So wie der Baum die Ringe trägt der Mensch seine Vergangenheit, die ihn zu dem macht, was er ist“, sagt die Tänzerin Szu-Wei Wu (28) auf Englisch. Ihre Augen leuchten dabei — und Leidenschaft erfüllt den Raum.

„Cernes“ heißt ihr erstes Tanzstück, welches sie als Choreografin geschaffen hat. Der Titel heißt auf Französisch so viel wie „Jahresring eines Baumes“ und fasst die Idee, die hinter dem Stück steckt, in einem Wort zusammen. Es ist ein Stück, das von Wuppertal inspiriert ist und am Donnerstag, 2. Mai, als Teil des Tanzfestivals NRW auch im Café Ada gezeigt wird.

Die Pina-Bausch-Tänzerinnen Clémentine Deluy und Thusnelda Mercy treffen in Szu-Wei Wus Produktion auf den Breakdancer Martin Klukas. Die Choreografin provoziert eine Begegnung, die auf den ersten Blick aussieht, als würde sie sich eher zu einer Katastrophe als einer harmonischen Beziehung entwickeln. Wie können zwei komplett verschiedene Tanzstile die gleiche Sprache sprechen?

Szu-Wei Wu zeigt, wie es geht: „Die Art, wie wir unsere Körper bewegen, ist gleich — nur die Ausführung unterscheidet sich“, erklärt sie und fuchtelt mit den Armen herum, um ihre Idee plastisch zu machen. In ihrem Stück arbeitet die Wahlwuppertalerin, die aus Taiwan stammt, viel mit Emotionen. „Jeder Tänzer setzt diese anders um. Ich gebe nur die Richtung vor, wie es aussehen könnte.“

Die Idee zum Stück entwickelte Szu-Wei Wu an einem Platz in Wuppertal. „Dort gehe ich gerne hin, um zu entspannen.“ Eine Bank, ein paar Bäume und ein Blick übers Tal, so beschreibt sie die Stelle, die sie geheim halten möchte. „Es ist sehr privat,“ sagt sie mit einem Lächeln. Dort fand sie die Baumstümpfe, die zum Mittelpunkt ihres Stückes geworden sind und auch einen Platz auf der Bühne des Café Ada finden werden.

Wie die Taiwanesin nach Wuppertal gekommen ist? Das ist eine lange Geschichte: Bereits als Zweijährige entdeckte sie ihre Leidenschaft für den Tanz. „Meine Patentante hatte ein kleines Tanzstudio.“ Ballett, Jazzdance sowie chinesischer Folkloretanz gehörten zu ihrer Ausbildung — bis sie mit 17 Jahren nach Deutschland kam, um an der Folkwang Universität in Essen zu studieren. 2006 schloss sie ihr Studium mit dem Preis der Josef-und-Else-Classen-Stiftung ab. Ein Choreographie-Studium folgte.

Szu-Wei Wu gehört heute zu den Tänzern der Renegade-Produktionen. Dort lernte sie das Zusammentreffen zwischen Street- und modernen Tänzern kennen, welches sie in ihrer eigenen Produktion umsetzt.

In Wuppertal lebt sie unter anderem wegen Pina Bausch. Einige Jahre tourte sie mit dem Tanzensemble international und wirkte bei dem Stück „Sacre du printemps“ mit. Noch immer entdeckt sie liebenswerte Details: die bunten Treppen am Ostersbaum nahm sie im Arbeitsstress erst nach Jahren wahr.

Obwohl sie mit ihren jungen Jahren schon so erfolgreich ist, bleibt die Tänzerin sehr bescheiden. Bei der Premiere von „Cernes“ auf einem Bühnenfestival in Herne war es für sie eine Überwindung, sich das Stück anzuschauen: „Ich hatte Angst vor der Reaktion des Publikums.“ Auf die Frage, ob sie stolz auf ihre Arbeit ist, schüttelt sie nur den Kopf.

Für ihre Zukunft hegt die Tänzerin einen besonderen Wunsch: „Ich habe nicht viel Zeit. Wenn etwas Ruhe in mein Leben eingekehrt ist, werde auch ich Kaffee und Kuchen im Kaiserwagen essen und eine Schwebebahntour durch das ganze Tal machen.“