Quga Engels führte über die Millionenallee
Unterbarmen. · „Genossinnen und Genossen“, hob Friedrich Engels, angetan mit weißem Rauschebart und elegantem grauen Gehrock, an zu sprechen, berichtete dann, dass er aus seinem nassen Grab auferstanden sei, um mit einer knapp 20-köpfigen wissbegierigen Schar den Unterbarmer Friedhof zu besuchen.
Denn dort ruhen die Gebeine etlicher Sprosse der Barmer Unternehmerfamilie Engels, allerdings nicht die des berühmten Friedrich junior, dessen Asche nach dessen Tod in die kalten Fluten der Nordsee gestreut wurde.
Stadtführer Jürgen Holzhauer war in die Rolle Wuppertals größten Sohnes geschlüpft und reicherte mit sonorer Stimme sein umfassendes Wissen mit allerlei unterhaltsamen Anekdoten an. „Das ist heute unser Beitrag zum Engels-Jahr“, erklärte Heinz-Willi Riedesel, Vorstandsmitglied des Bürgervereins Unterbarmen, den Anwesenden, die sich corona-vorschriftsgerecht zum Beginn des Spazierganges in eine Liste eingetragen hatten.
„Die Familie Engels herrschte über ein gewaltiges Imperium, das halb Europa umspannte“, so der stimmgewaltige „Ersatz-Engels“, der seine sichtlich beeindruckten Zuhörerinnen und Zuhörer zur „Millionen-Allee“ führte. Einer Grabzeile mit wahren Monumenten, sogar einer in Stein gehauenen Sphinx, steinernen und ehernen Statuen und Fialen (Säulen), die die letzten Ruhestätten der Barmer Industriellenfamilien bewachen sollen.
„Die Industriellenfamilien, wie auch die Familie Engels, waren Pietisten und damit Anhänger einer besonders strengen evangelischen Glaubensrichtung“, berichtete Holzhauer und führte aus: „Das hinderte sie jedoch nicht, ihr auf Kosten der ausgebeuteten Arbeitskräfte erworbenes Kapital möglichst fruchtbar zu vermehren. Zwar hatte man sich als Pietist einer höchst maßvollen Lebensweise zu befleißigen, andererseits wollte man den erworbenen Reichtum auch der Nachwelt deutlich machen. Deshalb die prachtvollen Grabstätten“, so der Stadtführer und merkte ganz im Sinne von Friedrich Engels an: „Hätten die Industriellen nur einen Teil der Kosten für die Grabmäler für die Verbesserung der Situation der Arbeiterfamilien verwendet, dann wäre die Revolution sicher weniger heftig ausgefallen.“
Von diesen Gedanken ließ sich der Unternehmer Friedrich Engels leiten, als er als kulturell versierter Philosoph dem Kapitalismus abschwor und zusammen mit Karl Marx eine neue Gesellschafts- und Wirtschaftstheorie, den Marxismus, entwickelte.
Dirk Wallbrecker liest
aus seinem neuen Buch
Vor 200 Jahren wurde Friedrich Engels junior, der Sohn des gleichnamigen Vaters, geboren, und natürlich kündeten auf dem Unterbarmer Friedhof stattliche Säulen vom einstigen Wirken der Engels-Familie. Doch der Erhalt der Monumente scheiterte, wie bei vielen anderen einst prachtvollen Grabstätten, an der mangelnden Pflege der eigentlich zahlreichen Nachkommen. Und so verfielen und zerbrachen die Säulen. „Eine lag in Stücken am Boden“, so Heinz-Willi Riedesel. „Die musste zum Engels-Jahr für die in- und ausländischen Besucher und Gäste wieder zusammengesetzt und die inzwischen verwitterte Schrift auf dem Sandsteinblock durch einen Steinmetz wieder lesbar gemacht werden.“
An einer der Fialen las auch der Autor Dirk Wallbrecker einige Passagen aus seinem Buch „Auf Bruch“ (Die Kinderjahre des Friedrich Engels junior“) – siehe auch die Buchbesprechung in der WZ-Ausgabe vom 21. August – vor und machte Appetit auf den stimmungsvollen Ausklang des unterhaltsamen und informativen Friedhofsbesuches in der angeschlossenen Gärtnerei.