Entführte Tochter: Zehn Zeugen sollen nicht eingegriffen haben
Zehn Zeugen sollen eine Stunde lang nicht eingegriffen haben, obwohl sie hörten, wie eine 19-Jährige von ihrem Vater geschlagen und bedroht wurde.
Wuppertal. Es ist fast unvorstellbar: In einer Werkstatt in Oberbarmen wird eine 19-Jährige von ihrem Vater (46) geschlagen, angebrüllt, er droht ihr mit dem Tod. Etwa zehn Männer, darunter die beiden Brüder des Mädchens, stehen vor der Werkstatt, hören die 19-Jährige schreien und weinen — doch keiner greift ein.
Unter anderem wegen dieser Szene, die sich im Oktober 2011 abgespielt haben soll, müssen sich der Vater und zwei Brüder aus dem Libanon (23 und 27 Jahre alt) seit Freitag vor dem Landgericht wegen Geiselnahme, gefährlicher Körperverletzung und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr verantworten.
Unter Tränen erzählte die 19-Jährige im Zeugenstand von ihrem traumatischen Nachmittag im Oktober 2011. Damals war sie als Beifahrerin mit ihrem Verlobten — er stammt aus Jordanien — auf dessen Roller unterwegs, als sie bemerkte, dass ihr Bruder (23) und ihr Vater ihnen im Familien-Mercedes folgten. Ihr 21 Jahre alter Freund überfuhr auf der Flucht eine rote Ampel und eine Verkehrsinsel, trotzdem rammte der Mercedes den Roller. Während der Fahrer zu Fuß flüchten konnte, zog der Vater seine Tochter an den Haaren in das Auto. Dabei soll er sie mehrmals auf den Kopf und ins Gesicht geschlagen haben.
Der Fahrer des Wagens, der 23-jährige Bruder des Opfers, brachte Vater und Schwester in eine nahegelegene Werkstatt. Dort traf wenig später auch der 27-jährige Bruder des Mädchens ein. Und die „Erziehungsmaßnahme“ sprach sich noch weiter rum: Auch Bekannte und andere Familienangehörige — unter anderem der Schwager des Mädchens — versammelten sich vor der Werkstatt in Oberbarmen. Nach Aussage des 23-Jährigen sollen etwa zehn Personen mitbekommen haben, was sich im Inneren der Garage abgespielt hat.
Die 19-Jährige schilderte, wie ihr Vater sie mehrfach geohrfeigt und mit einem Schlüsselbund auf Oberschenkel und Hände geschlagen hat. Außerdem habe er gedroht, ihren Verlobten vor ihren Augen und danach sie selbst zu töten. Nach Aussage der Brüder waren die Schreie des Mädchens deutlich auf der Straße vor der Werkstatt zu hören.
Nach etwa einer Stunde fuhren die drei Angeklagten mit der 19-Jährigen zu der gemeinsamen Wohnung, wo die Männer von der Polizei erwartet wurden. Alle drei Angeklagten ließen am Freitag von ihren Verteidigern Aussagen verlesen, in denen sie die Geschehnisse weitgehend einräumten. Als Motiv gaben sie an, dass der damalige Verlobte ihrer Tochter beziehungsweise Schwester einen schlechten Ruf habe. Er soll seine Ex-Freundinnen geschlagen haben und „sein Geschäft angezündet“ haben, um die Versicherungssumme zu kassieren. Ein religiöses Motiv bestritten sie.
Mittlerweile sind die 19-Jährige und der 21-Jährige verheiratet und erwarten ein Kind. Auch die Eltern und Geschwister akzeptieren die Beziehung. Trotzdem erwartet die drei Männer, wenn sie wegen Geiselnahme verurteilt werden, eine Haftstrafe von mindestens fünf Jahren. Alle drei befinden sich in U-Haft. Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt.