Campus Wuppertal Experte der Uni Wuppertal erklärt: Warum Männer nur ungern Schwächen zeigen

Wuppertal · Wann ist der Mann ein Mann? Zu dieser Frage forscht der Germanist Torsten Voß von der Bergischen Uni Wuppertal.

Die Rolle des Mannes in der Gesellschaft hat sich verändert. Solche Bilder wären früher wohl fast undenkbar gewesen.

Die Rolle des Mannes in der Gesellschaft hat sich verändert. Solche Bilder wären früher wohl fast undenkbar gewesen.

Foto: dpa/Monika Skolimowska

„Wann ist der Mann ein Mann?“, fragt Herbert Grönemeyer 1984 in seinem Song „Männer“ und listet eine ganze Reihe an Attributen auf, die gerne dem starken Geschlecht zugesprochen werden. Aber ist das wirklich so? An der Bergischen Universität beschäftigt sich der Germanist Torsten Voß mit der Männlichkeitsforschung. Auf Herbert Grönemeyer antwortet er übrigens: „Niemals.“

Helden stehen am Beginn der Männlichkeitsforschung. Der Engländer Thomas Carlyle habe 1840 Kategorien für Heldentum und Männlichkeit aufgestellt. Männlichkeits- sei ohne Frauenforschung nicht zu verstehen, sagt der Wissenschaftler der Bergischen Universität. Die Frauenforschung sei zu Beginn ein Politikum gewesen, das auf die ungerechte Verteilung der Geschlechter in Führungspositionen sowie in sozialen, politischen und wirtschaftlichen Stellungen hingewiesen habe. „Und wenn man das bei der Frau macht, kann man das genauso gut natürlich auch beim männlichen Geschlecht machen“, sagt Voß.

Wie die Wirtschaft auf die Männer einwirkt

Wichtige Grundlagen der Männlichkeitsforschung kommen aus den Vereinigten Staaten und erreichten Deutschland erst in den 1980er/1990er Jahren. Die Männlichkeitsforschung habe einige Begrifflichkeiten aus der Frauenforschung übernommen. „Die große Differenz zwischen sozialem Geschlecht und biologischem Geschlecht, zwischen Sex und Gender, hat die amerikanische Philosophin Judith Butler sehr früh schon in den USA deutlich gemacht, und das ist in die Männlichkeitsforschung sowohl in den USA als auch in Deutschland übergeflossen.“

Ein Aufsatz mit dem Titel „Ansätze zu einer neuen Soziologie der Männlichkeit“ der Autoren Carrigan, Connell und Lee hatte 1985 großen Einfluss auf die Theorieentwicklung der Männlichkeitsforschung. Dabei geht es unter anderem um die Führungsrollen der Männer, in denen sie häufig nicht nur Frauen, sondern auch Geschlechtsgenossen unterdrücken. „Das ist ganz platt und populistisch ausgedrückt erst einmal dieses einfache Platzhirschverhalten“, sagt Voß und stellt gleichzeitig die These auf, dass dafür auch neoliberale Wirtschaftsstrukturen verantwortlich seien, die dafür sorgten, dass ein stärkerer Konkurrenzkampf entstehe.

In der Forschung lese man oft von männlichen Lebenswelten, so Voß. Aber wie sehen die aus? „Aufgrund der Durchmischung der Geschlechter und der Arbeitsbereiche gibt es die ja gar nicht mehr“, erklärt der Wissenschaftler. „Man muss da zwischen historischen Männlichkeitswelten und aktuellen Männlichkeitswelten differenzieren. Typische männliche Lebenswelten waren früher natürlich das Militär, die Kaserne, die Kneipe und der Stammtisch, der Sportplatz, das Bordell oder das Spielkasino. Dort, wo der Mann seinen Mann stehen konnte, wo er ‚Wer-Sein‘ konnte, wie es der australische Philosoph und Männlichkeitsforscher Michael Eldred treffend formuliert hat.“

Die Themen der Männlichkeitsforschung sind umfangreich, aber man müsse zwischen den Wissenschaftsdisziplinen trennen, erklärt Voß. So habe das Thema zunächst in der Soziologie, den Sozialwissenschaften, der Psychologie, den Erziehungswissenschaften, aber auch der Literaturwissenschaft Einzug gehalten. „Entscheidend in der Männlichkeitsforschung zum Beispiel in der Literatur-, Kunst- oder Medienwissenschaft sind die verschiedenen Erfahrungsformen und Praktiken von Männlichkeiten, die rekonstruiert werden“, sagt Voß. „Wo verortet sich Männlichkeit? Wo werden Männlichkeiten inszeniert, torpediert oder verhindert? Welche sozialen, räumlichen, körperlichen und habituellen Entfaltungsformen von Männlichkeit gibt es und wie werden diese eingesetzt im sozialen Miteinander, in kommunikativen Zusammenhängen und im Gespräch?“ Da sei vor allem die Literaturwissenschaft, die sich mit Kommunikation und Sprache beschäftige, maßgeblich.

Ein weiterer Bereich der Männlichkeitsforschung beschäftigt sich auch mit dem Thema Vaterschaft. Galt das Windeln Wechseln früher als No-Go, ist es heute für junge Väter ganz selbstverständlich. „Das liegt daran, dass die Selbstbehauptung oder wie man sich sozial verortet, wenn es um Wahrnehmung geht, nicht mehr primär über das Geschlecht abläuft, sondern auch über Fähigkeiten.“ Die Tätigkeitsfelder von Männern, Frauen und Diversen seien nicht mehr so festgeschrieben, weil man sich nicht mehr über ein typisches männliches oder weibliches Tätigkeitsfeld definiere.

Das Bild des Mannes hat sich im Laufe der Geschichte gewandelt. „Den Mann als Mann hat es also nie gegeben und dennoch versuchen uns Songs, Filme und Literatur mit bekannten Männlichkeitsbildern immer wieder vorzugaukeln, wie sie sein sollten“, sagt der Germanist. Es gebe nicht den Mann, aber verschiedene männliche Verhaltensformen. „Sitze ich am Stammtisch, bin ich in der Kaserne, bin ich in der Studentenverbindung, sitze ich in der Fakultätskonferenz. Ich switche situativ bedingt zwischen verschiedenen Männlichkeiten und dementsprechenden Verhaltensweisen hin und her.“ Man sei auch im Beruf mitunter anders Mann als etwa zu Hause oder gar auf dem Opernball. „Dieses situative Wechseln zwischen den Männlichkeiten ist immer auch wieder eine Melange aus Fremderwartung und Selbstverständnis.“

Aber selbst heute scheine es für viele Männer schwierig zu sein, mit ihren diversen Rollen umzugehen. Schwäche zu zeigen, sei bis heute in vielen Bereichen unmöglich. „Ich kenne Kollegen aus der Schweiz, die in der industriellen Forschung arbeiten. Outing wäre da kein Problem, aber Schwäche zu zeigen, nach dem Motto, ich kann das heute nicht, wird auch heute nicht gerne gesehen. Man darf es also nicht nur nicht sagen, sondern man darf sich auch nicht so verhalten. Dieser Druck ist zwar geschlechterunabhängig, wirkt sich aber unterschiedlich aus, weil Männer oder Männerrollen anders auf diesen Druck reagieren.“ Der Literaturwissenschaft komme dabei die Aufgabe zu, dieses an literarisch ästhetischen Inszenierungsformen zu rekonstruieren, nachzuweisen und zu zeigen, wie Geschlecht inszeniert und performiert werde.