Fingerübung für Gülbadamova
Die russische Ausnahmepianistin Sofja Gülbadamova lieferte ein Gastspiel von Weltklasse ab.
Wuppertal. Ernst von Dohnányis zweites Klavierkonzert gehört zu den pianistisch anspruchsvollsten Werken der klassischen Klavierliteratur. Das Unter- und Übergreifen der Hände, Glissandi, perlende Läufe, Ton- und Akkordrepetitionen, das alles in einem wieselflinken Tempo und dabei außerdem Haupt- und Nebenstimmen klar herausarbeiten zu können, sind handwerkliche Grundvoraussetzung. Ist einem dieses Rüstzeug in Fleisch und Blut übergangen, kann man dieses Opus 42 in h-Moll hochanständig über die Bühne bringen. Und das Publikum ist begeistert, weil sich die zehn Finger höchst virtuos über der Klaviatur hin und her bewegen. Das heißt aber noch lange nicht, dass so automatisch elektrisierend musiziert wird. Dazu gehört dann noch mehr, nämlich Herz und Verstand.
Über das alles verfügt die in Russland geborene Ausnahme-pianistin Sofja Gülbadamova. Sie sorgte dafür, dass das zehnte und letze städtische Sinfoniekonzert dieser Saison zu einem Highlight geriet. Ganz in sich ruhend, hoch konzentriert aber auch selbstbewusst saß sie am Flügel. Sie kennt jede Note dieses Stücks ganz genau und hat sie als Spezialistin auf dem Gebiet von Dohnányis Oeuvre tief ausgelotet.
Das technische Handwerk schien bei ihr nur Mittel zum Zweck zu sein. Spielerisch leicht, als wäre es nur eine kleine Fingerübung, ging sie damit um. Einen unglaublich großen musikalischen Bogen spannte sie über die drei Sätze, die nahtlos ineinander übergehen. Die ganzen Seelenzustände des Komponisten in der Zeit der Entstehung kurz nach dem zweiten Weltkrieg brachte Gülbadamova höchst elektrisierend zum Ausdruck. Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung über den an ihm betriebenen Rufmord, Wehleidigkeit, aber auch Sehnsucht, Trotz und ein Stück guten Glaubens an die Zukunft arbeitete sie ungemein gefühlvoll und ergreifend heraus.
Dieses mitreißende Musizieren schien sich voll auf das gesamte Sinfonieorchester übertragen zu haben. Span-nungsgeladen war die Atmo-sphäre auf der Bühne. Dank ihrer großen Tongebung und ihres intensiven wie nuancierten Zusammenspiels hatten die städtischen Sinfoniker einen großen Anteil an dieser fulminanten Aufführung dieses zu Unrecht in Vergessenheit geratenen bedeutungsvollen Klavierkonzerts.
Viel heiterer, positiver und mit einer Portion Schalk im Nacken sind dagegen Dohnányis fünf kleine „Symphonische Minuten“ op. 36, mit denen der Vormittag eröffnet wurde. Kein Wunder, schrieb er sie doch 1993 in einer Zeit, als der Ungar weltweit als Starpianist und Komponist höchst geachtet war, es ihm also noch richtig gut ging. Seine wie auch beim Klavierkonzert phänomenale Orchestrierungskunst, das abwechslungsreiche Spiel mit Klangfarben und Dynamiken wurde unter der Leitung von Dmitri Jurowski lupen-rein vermittelt.
Die dritte Sinfonie in F-Dur von Johannes Brahms wird oft mit Recht als seine charakteristischste bezeichnet. Denn sie spiegelt seine künstlerische Persönlichkeit am deutlichsten wider: Herbheit, tiefe Empfindung, kämpferischer Trotz, Liebe zum Volksliedhaften. Trotzdem sind die vier Sätze eigenartig, weil sie alle leise enden, sich so Nachdenklichkeit breitmacht. Unter Jurowskis deutlichem, sich auf das Wesentliche beschränktem Dirigat entfaltete auch hier das städtische Orchester eine große Klangpracht, überzeugte auch mit fein ziselierten, gefühlsbetonten leisen Passagen.
Gülbadamovas Gastspiel hatte ein Format von Weltklasse — es gab lang anhaltenden Schlussapplaus.