Was glauben Sie denn? Ok, Boomer!
Die Desillusion ist groß. Sie kommt überfallartig. Sie schafft einen Schockzustand. Im Glauben, selbst noch jung zu sein, stellt man schnell fest, dass die Jugend heutzutage den Luxus liebt, schlechte Manieren hat, die Autorität verachtet, keinen Respekt vor den älteren Leuten hat und demonstriert, wo sie zur Schule gehen sollte.
Wer so denkt, kann sich zwar damit trösten, dass er oder sie Gedanken denkt, die vor gut 2400 Jahren kein geringerer als der griechische Philosoph Sokrates gedacht hat. Gleichwohl wird einem solchen Menschen wohl schlagartig die Erkenntnis zu eigen, dass er selbst nun wohl unweigerlich zu den Alten gehört, deren Weisheit sich in dem einen Satz „Früher war alles besser!“ zusammenfassen lässt. Vergessen sind die Tage der eigenen Jugend, als man noch in Brokdorf gegen Atomkraft demonstrierte, im Bonner Hofgarten gegen den NATO-Doppelbeschluss mobil machte und man, nachdem der Club of Rome 1972 mit hoher Dringlichkeit auf die Grenzen von Ressourcen und Wachstum aufmerksam machte, erste Maßnahmen zum Erhalt der Schöpfung auf den Weg brachte. Autofreie Sonntage, Filteranlagen und Feinstaubfilter machten die Luft sauberer und bekämpften den damals verbreiteten Smog, der Ausstieg aus der Atomkraft wurde mittlerweile auf den Weg gebracht, Atomwaffensperrverträge führten zu einer friedlicheren Welt. Das ist schon etwas – und doch immer noch nicht genug! In manchem droht sogar ein Rückfall in schlechtere Zeiten. Wachsamkeit und Achtsamkeit sind weiter gefordert.
Wer aber heute, wie die Internetikone Sascha Lobo sagt, Fridays for Future sei ein Rollenmodel für einen Realitätsschock, muss in der Vergangenheit nicht im real life, im realen Leben gewesen sein ... Was glauben Sie denn?
Zu allen Zeiten haben sich die Jungen an den Alten und die Alten an den Jungen gerieben. Das ist heute so. Es war schon bei den 1968ern so, jener sich selbst gern revolutionär sehenden Generation, die die Großeltern von heute sind. Von den Enkelkindern der Gegenwart werden sie gerne „Boomer“ genannt wird, weil sie die Generation der Baby-Boomer repräsentieren. Die Revolution ist das pubertäre Privileg der Jugend. Sie ist Teil der Identitätsfindung. Und die Jugend von heute findet ihr Thema im Klimawandel. Noch tritt sie freitags für die Zukunft in den Schulstreik. Wenn die Schule vorbei ist, und aus Kindern und Jugendlichen Leute geworden sind, wird mehr als ein bloßer Streik notwendig sein, um echte Lösungen zu finden. Die dann ehemaligen Schüler werden dann ihrerseits in der Verantwortung stehen. Ein bloßes „How dare you?“ wird dann ebenso wenig reichen, wie ein „Ok, Boomer!“ als nassforsche Antwort auf Kritik und Nachfragen altgewordener Jugendlicher vergangener Jahre, die versucht haben, Lösungen für die Probleme ihrer Zeit zu finden. Damals war „Boomer“ noch ein Streuner – ein herrenloser, zotteliger Mischlingshund, Held einer Fernsehserie, der in 45 Minuten die kleinen und großen Probleme derer löste, die ihm über den Weg liefen. Ok, Boomer! – das ist eine Aufforderung, wieder einmal an den Lösungen für die Herausforderungen der Gegenwart zuarbeiten. Die sind ja eines Boomers absolut würdig!
Die alttestamentliche Schrift Jesus Sirach hält die junge Generation angesichts der zurückgehenden Kräfte der Altvorderen an: „Mein Sohn, wenn dein Vater alt ist, nimm dich seiner an, und betrübe ihn nicht, solange er lebt. Wenn sein Verstand abnimmt, sieh es ihm nach, und beschäme ihn nicht in deiner Vollkraft!“ (Jesus Sirach 3,12f). Bevor es soweit ist, sollten die Alten, die durch den Fortschritt ja auch immer jünger werden, von Geist und Kraft Gebrauch machen. Sie haben nämlich auch noch eine Zukunft, die sie nicht nur am Freitag mit den Großeltern der Zukunft teilen. Für die Bewahrung der Schöpfung ist man nie zu alt. Also packt mit an. Ok, Boomer?