Friedrich Engels und die „Volkshochschule“

Die Hall of Science in Manchester schrieb Erfolgsgeschichte. Einer ihrer Besucher war der junge Engels.

Foto: Anette Hammer

Im englischen Salford, dem ehemaligen Sitz des Textilunternehmen Ermen und Engels, gründeten in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts die Anhänger des damals populären Sozialreformers und Frühsozialisten Robert Owen eine der ersten Einrichtungen zur „geistigen Bildung der Arbeiterschaft“. Die Stadt, ein unmittelbarer Nachbar der industriellen Mega-Boomtown Manchester, galt als ein Ort der krassesten sozialen Ungleichheit. Ähnlich wie in Manchester prallten hier auf engstem urbanem Raum Arm und Reich scharf aufeinander, ohne sich dabei wirklich zu begegnen. Der „Baumwollkapitalismus“ von Salford war geprägt durch exponentielles Wachstum, schwindelerregenden Reichtum von Fabrikanten und Bankiers, grassierender Armut der zumeist irischen Proletarier und ökologischer Verwüstung.

Wuppertaler

Geschichte

Den erschreckten bürgerlichen Beobachtern und sogar internationalen Sozialtouristen galten diese „Schock-Citys“ mit ihren irritierenden Slums, rauen Sitten und physisch erfahrbaren Umweltschäden im Nordwesten Englands geradezu als urbane Ablagerung eines völlig ungebremsten Kapitalismus, wenn nicht als die räumlichen Symbole des Schreckens einer neuen Zeit. Der renommierte Urbanisierungshistoriker Lewis Mumford nannte sie schlichtweg „Höllenstadt“. Dort in Salford und Manchester lernte Friedrich Engels die Schattenseiten des Industriekapitalismus hautnah kennen, als er sich im Auftrag des Vaters dort um die Belange der Firma Ermen & Engels zu kümmern hatte. Hier hat der Unternehmersohn zwei Jahrzehnte lang gelebt, gearbeitet und die Lage der Arbeiter kennen- und analysieren gelernt. Und einen seiner ersten öffentlichen Aufrufe richtete er an das Arbeiterpublikum in der Hall of Science in Manchester.

Diese owenitische Einrichtung, gern auch als frühe „Volkshochschule“ bezeichnet, zog 1840 von Salford nach Manchester um und schrieb dort Erfolgsgeschichte. Sie erreichte etwa an Sonntagabenden regelmäßig bis zu 3000 Arbeiter bei Bildungsveranstaltungen und geselligen Treffs. Tendenz steigend. Und einer ihrer Besucher war der junge Friedrich Engels, der tagsüber die Geschäfte des Familienunternehmens regelte, aber nach Feierabend die Gesellschaft von Arbeitern der seiner Standesgenossen deutlich vorzog und beeindruckt war von den vielseitigen Bildungsformaten, mit denen diese „Volkshochschule“ die Proletarier nicht nur magisch anzog, sondern auch bei der Stange hielt. Vorträge, Experimente und Geselligkeit wechselten einander ab und eröffneten dem Publikum auf attraktive Weise eine Welt der Poesie, der Naturwissenschaften und der politischen Ökonomie.

Das war für viele absolutes Neuland und Engels war begeistert. 1842 entstand eines seiner epochalen und richtungsweisenden Werke: Die empirische Analyse über „die Lage der arbeitenden Klasse in England“. Gewonnen aus eigener Anschauung, inspiriert durch eine Volkshochschule. Keine Frage also, dass sich die Bergische VHS, die 1912 am Geburtsort von Friedrich Engels gegründet worden ist, gebührend an dessen Jubiläum 2020 beteiligen wird.