Offen gesagt Gemeinwohl vor Eigenwohl

Wuppertal. Die Reaktionen sind verständlich. Noch mehr Beton, noch mehr Verkehr, dafür weniger Grün und weniger Idyll. Das ist nicht schön. Und es entspricht ja auch der Wahrheit, dass Nächstebreck Ikea duldet und die Ansiedlung der Firma Putsch aus Hagen direkt an der Nordbahntrasse konstruktiv begleitet hat.

Dennoch ist es zu kurz gedacht, jede weitere Gewerbeansiedlung aus diesen Gründen kategorisch abzulehnen.

Ebenso falsch ist es, den Nächstebreckern nun noch mehr Gewerbe aufzudrängen nur weil dort Platz ist und die Fläche wegen einer abenteuerlichen Trabantenstadt-Planung aus grauen Vorzeiten der Stadt Wuppertal gehört. Stadtentwicklung braucht ein Konzept und nachvollziehbare, gut begründete Entscheidungen, damit auch diejenigen sich vertreten und verstanden fühlen können, die in der Sache anderer Meinung sind.

Diese Stadt befindet sich an einem Scheideweg. Das ist besser als noch vor fünf, sechs Jahren, als in Nasenrichtung nur die Sackgasse wartete. Es ist aber auch noch nicht so gut, dass die Erfolge wie etwa in Düsseldorf oder sogar im kleinen Monheim am Rhein von selbst kämen. Wuppertal muss viel tun, um der Misere dauerhaft zu entrinnen. Dabei ist eine „Mit dem Kopf durch die Wand“-Politik ebenso wenig dienlich wie das St.-Florian-Prinzip, nach dem Belastungen grundsätzlich auf andere abgewälzt werden.

Sollten Politik und Verwaltung sich dazu durchringen, die Fläche im Osten als großes neues Gewerbegebiet auszuweisen, dann stehen sich berechtigte Interessen gegenüber. Die Nächstebrecker wollen die Grünfläche vor ihren Haustüren erhalten, die Stadt braucht Platz für Unternehmer und Unternehmen.

Es ist zweifellos so, dass von Gewerbe, wo auch immer es angesiedelt wird, alle Bürger einer Stadt profitieren. Betriebe bezahlen in aller Regel Steuern, und anständig entlohnte Arbeit ist die beste Sozialhilfe, die eine Gesellschaft leisten kann. Wuppertal ist derzeit offenbar nicht in der Lage, für neue Ansiedlungen oder Unternehmesexpansionen genügend Flächen anzubieten. Demgegenüber stehen eine Arbeitslosenquote von etwa neun Prozent und rund 80 000 Menschen, die ganz oder teilweise von Hartz-IV-Leistungen leben.

Lässt sich der Wunsch nach Lebensqualität hier mit der Hoffnung auf Perspektive dort vereinbaren? Der Ruf nach Vermittlung durch den dafür in der Stadtverwaltung beschäftigten, hoch dotierten Bürgerbeteiliger wird vermutlich wieder einmal ungehört verhallen. Die schnöden Sorgen normaler Wuppertaler sind dem Dezernenten aller Voraussicht nach nicht akademisch genug.

Also ist es an Politik und Stadtverwaltung, im Dialog mit den betroffenen Bürgern abzuwägen, was Wuppertal braucht und was Nächstebreckern noch zumutbar ist.

Gemeinwohl geht vor Eigenwohl. Gemeinwohl muss Vorrang haben, weil Gesellschaften sonst vermutlich nicht funktionieren könnten. Aber es ist dann am besten, wenn jeder Einzelne letztlich das Gefühl haben kann, auf der Seite der Gewinner zu stehen. Mit rot-schwarzem „Basta“ aus dem Rathaus ist das allerdings ebenso wenig zu erreichen wie mit sturer Blockade und mit dem inzwischen arg strapazierten Vorwurf diesmal aus Nächstebreck, im Stadtrat werde nur Hinterzim- merpolitik betrieben.