Hebammen fragen: Was ist das Überleben eines Säuglings wert?
Zu teure Berufshaftpflicht: Zwei Wuppertaler Hebammen sprechen über ihre Existenzangst.
Wuppertal. Eigentlich sollte es ein gutes Jahr für das Geburtshaus Wuppertal werden. Ein Anbau ist geplant. Jetzt fürchten Leiterin Kristin Seeland und ihre Kollegin Julia Haldenwang vom Hebammennetzwerk Bergisches Land, dass sie bald nicht mehr genügend Mitarbeiterinnen haben.
Der Beitrag für die Berufshaftpflicht hat sich seit 2003 verzehnfacht. In diesem Jahr müssen Hebammen 4200 Euro zahlen, 2015 steigt der Betrag erneut um 20 Prozent. Zudem ist eine große Versicherung aus der Berufshaftpflicht für Geburtshelfer ausgestiegen. Ab Sommer 2015 könnten viele Hebammen somit gar nicht mehr arbeiten.
Wen trifft das Aus der Haftpflichtversicherung?
Julia Haldenwang: Alle Hebammen. Nicht nur Freiberufler sind betroffen, auch Beschäftigte in den Kliniken werden nur zum Teil über die klinische Versicherung mit abgedeckt. Unser Berufsverband empfiehlt bereits lange Zusatzversicherungen, damit wirklich jeder Schadensfall abgesichert ist.
Warum steigen die Kosten für die Versicherungen?
Kristin Seeland: Die Anzahl der durch Hebammen verursachten Schadensfälle ist seit Jahren konstant. Es sind die Kosten pro Schadensfall, die steigen. Denn die medizinischen Möglichkeiten, gerade für Neugeborene, werden immer besser, aber auch teurer. Deshalb steigen seit Jahren die Beiträge, und jetzt lohnt es sich offensichtlich für die Versicherungen gar nicht mehr, diese Fälle zu versichern.
Welche Konsequenzen kommen auf Wuppertal zu?
Seeland: Wenn es nicht in absehbarer Zeit Lösungen aus der Politik gibt, bedeutet das das Aus für die komplette außerklinische Geburtshilfe, also auch für das Wuppertaler Geburtshaus. Es wären dann nur noch Geburten in Kliniken möglich.
Haldenwang: Außerdem fiele die gesamte Begleitung der Familien während und nach der Schwangerschaft weg. Gerade das ist für viele Eltern eine wichtige Unterstützung. Der Hebammenberuf, wie wir ihn kennen, würde nicht mehr existieren.
Was bedeutet das für das Berufsbild?
Haldenwang: Schon seit einigen Jahren steigen leider immer mehr Kolleginnen aus, weil sie von ihrem Beruf nicht mehr leben können. Natürlich macht die Situation auch Berufseinsteigern Angst. Hebamme ist eigentlich ein sehr beliebter Beruf, aber in den vergangenen Jahren gehen die Bewerbungen zurück. Der Mangel, der jetzt durch den Imageschaden entsteht, lässt sich schon nicht mehr aufhalten.
Was wünschen Sie sich von der Politik?
Seeland: Erst einmal muss die Verantwortung geklärt werden, damit an Lösungen gearbeitet werden kann. Eine Deckelung der von der Versicherung zu zahlenden Schadenssumme wäre möglich. Dann ist die Frage, ob und von wem Mehrkosten getragen werden. Das ist eine Entscheidung, die die Gesellschaft treffen muss: Wie viel Geld wollen wir für das Überleben eines Säuglings zahlen? Im Moment wird dieser Konflikt auf dem Rücken der Hebammen ausgetragen und das kann nicht die Lösung sein.