Betrugsmasche „Ihre Tochter hatte einen schweren Verkehrsunfall“ - wie unsere WZ-Autorin Opfer eines Schockanrufs wurde

Wuppertal · Betrüger machen sich vermehrt die Angst um ein Kind zu Nutze. Caroline Büsgen erzählt, wie sie Unbekannten nach einem Schockanruf fast 10 000 Euro ausgezahlt hätte.

Mit den Gedanken woanders kommt Caroline Büsgen nach Hause, als das Telefon klingelt – fast fällt sie auf eine Betrugsmasche herein.

Foto: Stefan Fries

Caroline Büsgen kommt gerade nach Hause. Sie ist freie Journalistin und war für die Westdeutsche Zeitung auf einem Termin. In Gedanken ist sie bei dem Text, den sie schreiben will. Während sie ihre Tasche ablegt, klingelt das Telefon. Noch im Mantel geht sie dran.

„Mamaaa!“, hört sie eine junge Frau rufen. „Mama...“, sagt sie weinend. „Franziska?“, fragt Büsgen nach ihrer Tochter. Büsgen steht unter Schock, hat Angst um ihre Tochter. „Du musst mit der Kripo sprechen.“ Büsgen wird verbunden, am anderen Ende der Leitung soll nun eine Beamtin der Kriminalpolizei namens Merkens sein. „Frau Büsgen, ihre Tochter hatte einen schweren Verkehrsunfall.“ Dann erzählt die Beamtin, dass es Franziska gut gehe, dass sie aber eine 20-jährige Radfahrer übersehen hat, die infolge des Unfalls verstorben ist. Sehr persönlich und einfühlsam berichtet sie von dem Vorfall, lässt Büsgen einer Verschwiegenheitserklärung zustimmen, macht einen Namensabgleich mit der Tochter. Büsgen denkt laut nach, die Tochter sei Notärztin, sie fahre immer durch Köln, dabei muss der Unfall passiert sein, wie schlecht es Franziska nun gehen muss, ist ihre Karriere als Notärztin nun beendet ...?

„Kann ich Sie zurückrufen?“, fragt Büsgen, die eine Wuppertaler Nummer im Display sieht. Nein, sagt die Beamtin, das würde die Verschwiegenheitserklärung brechen. Auch die Tochter sei gerade nicht zu sprechen, sie sei in psychologischer Betreuung. Das Problem: Die Familie der jungen Frau, die bei dem Unfall ums Leben gekommen sei, habe Anzeige erstattet. Franziska muss in Untersuchungshaft – es sei denn, Büsgen zahlt Kaution. Eigentlich seien 20 000 Euro fällig, doch es würden 10 000 Euro reichen, damit die Tochter auf freien Fuß kommt.

Noch unter Schock überlegt Büsgen, wie sie an das Geld kommt, um ihrer Tochter zu helfen, zu Hause habe sie eine solche Summe nie. Sie muss zur Bank. Damit die Verbindung nicht abbricht und die Verschwiegenheitspflicht bestehen bleibt, die polizeilichen Ermittlungen laufen ja schließlich, wechselt die Beamtin am anderen Ende der Leitung auf Büsgens Handy.

Mit der Beamtin am Ohr steigt sie ins Auto, fährt runter in die Stadt, um bei der Bank Geld zu holen, das sie dann an der Gerichtskasse abgeben soll. Sie soll in der Bank nicht sprechen, aber in der Leitung bleiben. Als Büsgen, noch immer nervös und in größter Sorge, bei der Bank ankommt, sind die Mitarbeiter gerade in Mittagspause. Die Beamtin am anderen Ende der Leitung fragt: „Haben Sie denn keinen Zugriff auf das Konto Ihres Mannes?“ Das Gespräch dauert an dieser Stelle schon etwa 30 Minuten. Da fällt der Groschen bei Büsgen. Selbst wenn ihre Tochter in U-Haft muss, ist doch viel schlimmer, dass die andere Familie ihre Tochter verloren hat. Warum drängt die Beamtin so sehr auf das Geld? „Das ist doch kein Trick-Anruf?“, fragt Büsgen. Nein, mit so etwas mache man doch keine Scherze, erklärt die vermeintliche Beamtin. Sie habe aber gerade erfahren, dass sich alles geklärt habe und die Tochter wieder auf freiem Fuß sei. Sie beendet das Gespräch.

Wer sich nicht sicher ist, sollte bei solchen Anrufen immer auflegen

Büsgen ruft sogleich ihre Tochter an, fragt, ob es ihr gut geht, ob sie eine junge Radfahrerin totgefahren habe. „Mama, das ist ein Fake-Anruf!“, erklärt die Tochter sofort. Büsgen wendet sich unter der 110 an die echte Polizei. Die nimmt den Fall auf. Bei dieser Art von Schockanrufen aber könne die Polizei nicht viel tun. Die Nummern seien gefälscht und können nicht verfolgt werden. Büsgen hat zwar noch rechtzeitig gemerkt, dass es sich um einen Trick handelt – doch der Schock sitzt sehr tief. „Ich hatte tagelang Angstzustände. Im Straßenverkehr hatte ich ständig Sorge, es könnte ein Unfall passieren.“ Sie schäme sich nicht, dass sie zunächst in die Falle getappt ist. „Ich bin unfreiwillig Hauptdarstellerin in einem Stehgreif-Theater geworden“, sagt sie. Geschickt habe die Betrügerin alle Aussagen Büsgens in die Geschichte eingeflochten. „Die saß da sicher nicht allein“, vermutet die Journalistin.

Die Erfahrungen von Caroline Büsgen ordnet Michael Schroer, Kriminalhauptkommissar im Bereich Prävention und Opferschutz, ein: „Ein Schockanruf spricht die Ur-Instinkte an, man will helfen und kann sich nicht mehr konzentrieren.“ Schroer erklärt, dass die Gespräche meist sehr lange gehen, die Leute wären irgendwann bereit, das Geld rauszugeben, weil die Geschichte so realistisch erscheine. „Man wird weich gewaschen. Die Tätergruppen sind sicher rhetorisch geschult und ziehen die Opfer immer tiefer in das Gespräch.“ So bestellten sie den Opfern, die zur Bank fahren müssten, auch nicht selten ein Taxi. Und das alles aus Entfernung: „Die Schockanrufe kommen zu 99 Prozent aus nicht-europäischen Callcentern, die Telefonbücher nach alten Vornamen durchsuchen und dann anrufen.“ Denn ältere Menschen fielen häufiger auf die Schockanrufe herein, weil sie unbedingt ihren Lieben helfen wollen. Sein wichtigster Rat lautet deshalb: „Lassen Sie Ihre Daten oder wenigstens den Vornamen aus dem Telefonbuch entfernen.“

Zwar seien die Beschäftigten bei der Bank geschult, Betrug zu erkennen – doch auch darauf seien die Betrüger vorbereitet, das Geld werde für eine Küche gebraucht, solle man sagen. Und weil der Bote, der das Geld dann an dem vereinbarten Treffpunkt abholen soll, manchmal noch eine Weile unterwegs ist, halten die Tätergruppen die Opfer mit dem Durchgeben der Scheinnummern bei der Stange. „Die Leitung muss besetzt bleiben – auch, damit die echte Tochter nicht angerufen wird.“ Man dürfe auch niemandem etwas sagen, um die vermeintlichen polizeilichen Ermittlungen nicht zu gefährden. „Es ist ganz perfide“, sagt Caroline Büsgen. Sie redet so viel wie möglich über ihren Fall, um aufzuklären. Sie hätte von sich gedacht, niemals darauf hereinzufallen. Ein weiterer Rat von Kriminalhauptkommissar Schroer: „Wenn man sich nicht sicher ist, immer auflegen.“