Interview: Ein Ort der Trauer — aber kein trauriger Ort

Die Gedenkstätte für verstorbene Kinder und Geschwister wird beim Gottesdienst am Sonntag wieder zum Treffpunkt.

Frau Wiederspahn, warum sieht diese Trauerstätte so gar nicht traurig aus?

Sylvia Wiederspahn: Weil sie zwar ein Ort des Gedenkens ist, aber auch des Erinnerns an schöne Zeiten. Kinder stehen für Hoffnungen und Wünsche, darum gibt es hier so viele Kindergesichter. Sie sollen zeigen, dass jedes Kind ein Geschenk ist und wir uns dankbar erinnern — auch wenn es fehlt.

Welche Funktion hat dieser besondere Platz noch?

Wiederspahn: Er ist ein Ort der Begegnung und des Austauschs mit anderen Betroffenen. Jeder muss seinen eigenen Weg finden, mit der Trauer zurechtzukommen. Da kann es helfen zu wissen, dass man nicht allein ist.

Antje Großer: Nach dem Tod unserer Tochter war es für uns ganz wichtig, mit anderen reden zu können. Doch Austausch und Öffnung liegen nicht jedem. Da ist es angenehm, dass die Trauerstätte auch Raum für Stille bietet.

Doris Budde-Haldenwang: Und sie ist ein Ziel für diejenigen, die sonst keinen Platz haben — weil es beispielsweise kein Grab gibt. Die Gedenkstätte kann der Trauer einen Ort geben.

Was gefällt Ihnen besonders gut?

Großer: Den Engel ich find’ toll (das Windspiel, ein goldener Posaunen-Engel, wurde im vergangenen Jahr errichtet, Anm. d. Redaktion). Er wirkt nicht brav oder traurig, sondern ganz dynamisch mit seinem Fanfarenstoß.

Wiederspahn: Er ist auch immer noch blitzblank und golden.

Die Skulpturen, steinerne Kindergesichter, sehen wie beabsichtigt ein bisschen verwittert aus.

Wiederspahn: Die sollen ja auch verwittern, genau wie alles, was hier mal abgelegt worden ist, Steine, Andenken, Spielzeug: Sie sollen Teil der Trauerstätte bleiben, auch wenn unter dem Grün nicht mehr alles sichtbar ist.

Immer wieder wird hierzulande fehlende Trauerkultur kritisiert. Was läuft noch falsch — und was hat sich schon verbessert?

Wiederspahn: Das Thema Tod und Trauer wird einerseits natürlich nach wie vor verdrängt. Doch andererseits sind viele Initiativen entstanden, was sehr erfreulich ist. Sie rücken ins Bewusstsein, dass Sterben zum Leben gehört. Heute erlebe ich mehr Verständnis für die Situation verwaister Eltern.

Budde-Haldenwang: Auch in den Krankenhäusern hat sich viel verbessert. Früher wurden tote Kinder einfach weggebracht, ohne sie den Müttern zu zeigen. Wir hatten damals, 1995, kein Foto unseres Jungen. Heute sind Entbindungsstationen, Hebammen und Ärzte viel besser vorbereitet — da hat sich ein deutlicher Wandel vollzogen.

Haben Orte wie dieser etwas dazu beigetragen?

Wiederspahn: Auf jeden Fall. Es gibt heute mehr Möglichkeiten, Abschied zu nehmen. Die ganze Familie wird in den Blick genommen, denn es trauern nicht nur die Eltern, sondern auch die Geschwister. Ihre Trauer wird oft völlig ausgeblendet. Dabei fehlt ihnen ja auch ein Leben lang der Bruder, die Schwester. Deswegen freuen wir uns immer ganz besonders, wenn Geschwister herkommen — auch erwachsene.

Am Sonntag, 18. September, steigt der jährliche Gedenkgottesdienst, das große Treffen. Ist das nicht traurig und belastend?

Großer: Gar nicht. Ich finde den Gottesdienst immer sehr hell, positiv und gar nicht schwierig. Aber das ist individuell verschieden.

Budde-Haldenwang: Man denkt als Betroffener zunächst, man ist ganz allein auf der Welt. Doch es gibt Leute, die verstehen, wovon man redet und wissen, wie man sich fühlt.

Großer: Das nahe Umfeld reagiert aus Hilflosigkeit oft auch falsch. Da kommen dann so Sprüche wie „Jetzt muss auch mal gut sein“ oder „Ihr seid doch noch so jung“. Ein Betroffener würde so etwas nie sagen. Dieses Verständnis ist eine ganz wichtige Sache.

Was ist diesmal das Thema der Gedenkveranstaltung?

Wiederspahn: Der Gottesdienst steht unter dem Motto „Erinnerungen sind eine Brücke.“ Sie können helfen.

Großer: Sehr sogar. Die Trauer um das tote Kind hört ja nicht auf. Sie wird nicht ver-, sondern bearbeitet. Man durchlebt im Laufe der Zeit leichtere und schwierigere Momente, und es ist gut, zwischendurch innezuhalten und sich zu fragen: Wie geht es mir jetzt?

Suchen Sie den Kontakt zu Eltern?

Wiederspahn: Sicher. Wir laden verwaiste Eltern gezielt ein. Wo ich einen Kontakt habe, gibt es eine Einladung zum Treffen.

Unabhängig von der Konfession?

Wiederspahn: Selbstverständlich. Dies ist jederzeit ein Ort für alle, die um Kinder oder Geschwister trauern.

Das Treffen mit Gottesdienst ist aber stets im September?

Wiederspahn: Es findet immer um den Weltkindertag herum statt — ein schöner Bezug. Und zu dieser Zeit kann man noch prima im Freien sein, in die Sonne schauen, einen Kaffee trinken: Nach dem Gottesdienst in der Kapelle versammeln wir uns hier draußen. Es ist wichtig, Natur und Leben zu spüren. Als Symbol dafür, dass wir zwar sehr trauern — aber auch sehr gern leben.