Interview: Verein will den Trend zunehmender Suizid-Fälle stoppen

Die Vereinsvorsitzende Paola Marten will das Thema Suizid aus der Tabuzone holen. Außerdem setzt sich der Verein für eine bessere Sicherung der Müngstener Brücke ein.

Unter dem Titel „Über die Wupper — Brückensicherung Müngstener Brücke — Veranstaltung zum Thema Vertrauen ins Leben“ hatten Sie in den Brückenpark geladen. Was war das Ziel der Aktion?

Paola Marten: Mit der Veranstaltung verbinden wir gleich mehrere Ziele. Wir wollen damit ein deutliches Signal setzen, dass die Müngstener Brücke endlich so gesichert wird, dass Selbsttötungen sehr schwer gemacht werden. Dafür haben wir auch Unterschriften gesammelt und werden es weiter tun. Eine Brückensicherung ist dringend geboten, diese kann durch Netze oder durch höhere Zäune erfolgen. In der Schweiz sind Brücken so gesichert worden, in Deutschland zum Beispiel eine in Würzburg. Die Erfahrungen zeigen, dass die Selbsttötungsrate danach in allen Fällen an diesen Brücken zurückgegangen ist.

Sie sprechen von weiteren Zielen?

Marten: Die Sicherung der Brücke ist ein Aspekt. Ein uns ganz wichtiger ist aber der, dass wir das Thema Selbsttötung enttabuisieren wollen. Die Angehörigengruppe hat zusammen mit dem Choreografen Torsten Konrad die Körperperformance „Über die Wupper“ gezeigt. Die teilnehmenden Angehörigen haben damit ihren Schmerz und ihre Trauer gestaltet. Für sie ist es wichtig, nach dem Schock wieder zum eigenen Leben zurückzufinden. Das Thema Suizid zu enttabuisieren, ist aber auch aus anderen Gründen notwendig.

Was ist daran so wichtig?

Marten: Tabuthemen sind mit Angst besetzt. Und Angst führt zur Lähmung. Dabei ist es wichtig, über den Suizid zu reden, um uns alle, um Klassenkameraden und Lehrer, Freunde und Angehörige wach und sensibel zu machen, Signale richtig zu deuten. Wir haben gelernt, dass es vor einer Selbsttötung immer Hinweise gegeben hat.

Wie können diese aussehen?

Marten: In einem Fall haben Eltern den Satz, „ich will Schluss machen“ so interpretiert, dass sie annahmen, dass Schluss mit dem Partner gemacht werden sollte. Daran, dass ihr Kind sich selbst töten wollte, haben sie nicht gedacht. Aufmerksam werden sollte man auch, wenn sich jemand zurückzieht, depressiv wird, in düstere Stimmungen versinkt oder wenn jemand das Gefühl hat, die an ihn gestellten Erwartungen nicht mehr erfüllen zu können. Es gibt vielfältige Anzeichen. Notwendig ist, dass wir unsere Furcht vor diesem Thema überwinden. Es wird nicht möglich sein, jede Selbsttötung zu verhindern, aber doch sehr viele Menschen davon abzuhalten. In letzter Zeit ist erschreckend, dass immer mehr Schüler ihr Leben frühzeitig beenden. In 2012 haben sich im bergischen Städtedreieck bereits drei Schüler selbst getötet.

Können Sie sagen, wie viele Menschen sich in Deutschland und hier in Remscheid, Solingen und Wuppertal selbst töten?

Marten: Bundesweit ist die Selbsttötungsrate wieder in die Höhe gegangen. Bis 2009 waren es unter 10.000 Menschen, die diesen letzten Ausweg für sich gewählt hatten, 2011 waren es 10.500. Für Remscheid, Solingen und Wuppertal habe ich noch keine Zahlen aus dem Jahr 2011. 2008 haben sich 54 Menschen selbst getötet, 2009 waren es 47 und 2010 64. Auch hier ist also der Bundestrend spürbar.

Was könnte Ihrer Ansicht nach dabei helfen, dass dieser Trend wieder umgekehrt wird?

Marten: Vorbeugung ist besonders notwendig. Und das möglichst früh. Da ist es wichtig, Projekte in Schulen zu starten, um über das Thema aufzuklären. Das ist einmal notwendig, um — wie schon beschrieben — Signale richtig zu deuten und nachzuhaken. Aber auch, damit über das Thema und seine Folgen diskutiert und gesprochen wird. Für Angehörige ist die Selbsttötung ein schwerer Schock. Besonders Eltern fällt es sehr schwer, diesen zu überwinden. Schuldgefühle spielen dabei eine große Rolle. Mit unserer Aufklärungsarbeit wollen wir natürlich nicht Hinterbliebene verantwortlich machen. Darum geht es nicht, sondern darum, dass wir uns als Gesellschaft dem Thema mehr öffnen. Das hilft auch Angehörigen in ihrer Trauer. Man wird nie alle Selbsttötungen verhindern können.

Was hat Sie dazu geführt, sich für Hinterbliebene nach Suizid zu engagieren?

Marten: Nach dem Suizid des Sohnes einer Freundin hat mich das Thema nicht mehr losgelassen.