Wuppertal Jahrestag der Pogromnacht: Bewegende Worte eines Opfers

Auf dem jüdischen Friedhof Weinberg gedachten Juden und Christen der Pogromnacht vom 9. November 1938.

Foto: Andreas Fischer

Wolfgang Kotek hatte sichtlich Mühe zum Mikrofon zu kommen, das gestern vor der Gedenkstätte auf dem jüdischen Friedhof am Weinberg stand. Doch der 87 Jahre alte Herr wollte unbedingt, denn er hatte etwas zu sagen. Wolfgang Kotek ist ein Überlebender des Holocaust. „Ich rieche noch die Asche der Synagoge, ich sehe noch die Glut des Feuers“, sagte der Wuppertaler über die Nacht des 9. November 1938 in Wuppertal. Er lebt schon viele Jahre in Rotterdam. Die Bilder haben Wolfgang Kotek nicht losgelassen. „Mein Vater wurde in einen Viehwaggon verladen. Ich konnte mich nicht einmal von ihm verabschieden“, sagte er vor den etwa 100 Gästen auf dem Friedhof.

Wolfgang Kotek hat daraus seine Konsequenzen gezogen. Er schweigt nicht. Er spricht das Unrecht an, wann immer sich ihm die Gelegenheit bietet. Und er meint nicht nur das Unrecht von gestern, sondern auch das Unrecht von heute. „In diesem Augenblick sind weltweit 60 Millionen Kinder vom Hungertod bedroht. Die Menschenrechte werden überall mit Füßen getreten.“

Menschenrechte und Menschenwürde waren auch das Thema von Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD), der auch für seine Kollegen Andreas Mucke (Wuppertal) und Burkhard Mast-Weisz (Remscheid) sprach. „Niemals darf vergessen werden, was vor 79 Jahren auch in unseren drei Städten geschehen ist“, sagte Kurzbach. „Niemand darf vergessen werden“, fügte er hinzu. Gleichwohl seien ihm Gedenktage bisweilen zu plastisch, zu allgemein. „Es sind die Einzelschicksale, die man sehen muss.“

In seiner Gedenkansprache kritisierte der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Leonid Goldberg, den nachlässigen Umgang auch von Politikern mit dem Gedenken an die Verfolgung und Ermordung von sechs Millionen europäischen Juden. Er kritisierte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) für dessen Hinweis, dass Sozialdemokraten die ersten Opfer des Holocaust gewesen seien. Auch der Vergleich eines Schweizer Grünen-Abgeordneten zwischen einem Schweinetransport und der Deportation von Juden verschlug Goldberg fast die Sprache. Der Politiker kam demnach zu dem Schluss, dass die Menschen wenigstens eine kleine Chance auf Überleben gehabt hätten, die Schweine führen in den sicheren Tod. Der Politiker hat sich später ebenso entschuldigt wie Gabriel.

Aber für Tim Kurzbach zeigen diese Beispiele, dass der Angriff auf die Menschenwürde mit der Sprache beginnt. Für Solingens Oberbürgermeister reißt das „man wird doch wohl noch sagen dürfen“ Mauern um, die schützend um Menschenwürde und Menschenrechte stehen sollen. Er mahnte, sensibel zu bleiben, damit alte und neue Vorurteile nicht Schule machen und sich an keinem Volk wiederholt, was Juden in Deutschland und Europa erleiden mussten.