Johanneskirche — viel mehr als eine Notkirche

Von wegen Provisorium: Architekt Otto Bartning schuf nach dem Zweiten Weltkrieg eine Reihe von 43 besonderen Kirchenbauten in Deutschland. So besonders, dass sie vielleicht bald auf der Welterbeliste der Unesco landen könnten. Eine der Notkirchen steht in der Südstadt.

Foto: Andreas Fischer

Wuppertal. Sie sind nach dem Zweiten Weltkrieg irgendwie aus der Not geboren. Und doch führt der Begriff Notkirche in die falsche Richtung. Architekt Otto Bartning (1883 bis 1959) schwebte mehr vor. „Er hat den Begriff weiter gefasst“, erklärt Magdalena Majewski, deren verstorbener Mann Heinz sich intensiv mit der Geschichte der Bauten beschäftigt hatte — und mit seiner Leidenschaft schließlich auch seine Frau ansteckte. „Ich bin mit in die Archive, habe gemeinsam mit ihm verschiedene Notkirchen angeschaut“, erzählt die Wuppertalerin und fügt schmunzelnd an: „Und dann hat es auch mir Spaß gemacht.“ Vor allem die Person Otto Bartning sei interessant, „da steckt was hinter“.

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Eine bessere Führerin durch die Johanneskirche am Wuppertaler Von-der-Heydt-Park — eine der ursprünglich 43 zwischen 1948 und 1951 gebauten Notkirchen in Deutschland — dürfte es also kaum geben. Aber was hat es denn jetzt mit dem Begriff „Not“ auf sich? Gemeint seien nicht die äußeren Umstände gewesen, die Zerstörungen, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg zeigten, oder die finanzielle Not. „Es ging Bartning um die innere Not der Menschen“, erklärt die 64-Jährige, „die Orientierungslosigkeit, die Lethargie.“

Foto: Andreas Fischer

Das Bauprogramm der Evangelischen Kirche für die Notkirchen sollte den Gemeinden neue Anlaufpunkte ermöglichen — und alles andere als ein Provisorium sein, was viele heute noch mit dem Begriff Notkirche verbinden. Bewerben konnten sich damals Gemeinden, deren Kirchen im Krieg zerstört worden waren. „Und in der Wuppertaler Südstadt war praktisch alles kaputt“, weiß Majewski aus Erzählungen.

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Peter Trabitzsch, Architekt, über Otto Bartning und dessen Idee der Notkirchen

Bartning selbst schuf die Pläne für alle Kirchen und sprichwörtlich das Grundgerüst: Die so typische Holzbinderkonstruktion, die jedem Besucher direkt auffällt, wurde in Fertigbauteilen an die Gemeinden geliefert. „Hochwertig und trotzdem funktionell“, beschreibt Majewski die Bauweise. Finanziert über Spenden, vor allem aus den USA und Skandinavien.

Wichtig sei Bartning gewesen, dass die Gemeinden vor Ort beim Bau mithelfen können. „Ihm ging es um eine Gemeinschaftsarbeit“, erinnert sich der Wuppertaler Architekt Peter Trabitzsch (87), der in den 1950er-Jahren mit seinem berühmten Berufsgenossen zusammen arbeitete. „Die Kirchen sollten von Laien aufgerichtet werden können“, so Trabitzsch. In Wuppertal waren am Bau der Johanneskirche zum Beispiel Studenten beteiligt, wie alte Fotos zeigen.

Bartning verfolgte eine reduktionistische Architektur, beschränkte sich auf die elementaren Materialien Holz, Stein, Stahl. Minimalistisch vielleicht, aber für die Gläubigen ein echtes Erlebnis. Der Architekt hatte schon vor dem Zweiten Weltkrieg viele Kirchen entworfen. Seine Handschrift sei auch bei den Notkirchen unverkennbar, wie Trabitzsch erläutert. „Das wird zum Beispiel am Kirchraum deutlich.“

Gerson Monhof, Pfarrer

Der sei etwas Besonderes, hebt auch Gerson Monhof, Pfarrer der Gemeinde Elberfelder Südstadt, hervor. „Eine Kirche ohne Seitenschiff.“ Der Blick der Besucher werde durch die Binder, also die Holzstützen an der Wand, direkt nach vorne aufs Zentrum, die Bibel, geführt. Was Kirchgänger immer wieder loben würden, so Monhof, sei die Helligkeit innerhalb der Johanneskirche, begünstigt durch das Fensterband, Bartnings Idee.

Der Architekt hatte den Gemeinden zwar einiges vorgegeben, andererseits aber bei Details Freiheiten gelassen. Nicht immer sei er mit dem Endergebnis zufrieden gewesen — und hätte mit seiner Kritik auch nicht hinterm Berg gehalten, erzählt Magdalena Majewski. So fand sich in einem Archiv ein Brief, in dem Bartning einer Gemeinde mit harschen Worten die Leviten las.

Aus Wuppertal sei so etwas nicht bekannt, sagt Majewski lachend, erinnert aber daran, dass sich die Erbauer der Johanneskirche auch nicht an alle Vorgaben Bartnings hielten. So wurden beim Bau Trümmersteine verwendet, was Bartning durchaus vorgesehen hatte — allerdings nicht, dass diese dann unter einer Schlämmputzschicht verschwinden und kaum zu erkennen sind. „Die Leute hatten damals wahrscheinlich genug von Trümmern, um sie dann noch in der Kirche zu sehen“, vermutet Majewski, warum in der Johanneskirche, die 1949 eingeweiht worden war, dieser Weg gewählt wurde.

Auch wenn Bartning sich an historischen gotischen Vorbildern orientierte, weist die Johanneskirche auch ganz moderne Details auf — zum Beispiel war von Anfang an eine Toilette vorgesehen. „Wo gab es das damals schon in einer Kirche?“, fragt Majewski.

Das Fensterband erfuhr — allerdings nach Bartnings Tod — eine Veränderung. Die farblose Strukturverglasung wich 1963 Glasmalereien der Wuppertaler Werkstatt Heinrich Wilhelm Band. „Sie zeigen Motive aus dem Johannes-Evangelium und der Apokalypse“, erklärt Pfarrer Monhof. Wer die Kirche betritt, blicke erst auf die „schlimme Welt“, und dann auf die Motive, wie „der Segen, das Heil über die Menschen kommen“.

Einige Neuerungen brachte 1967 auch der Anbau des Gemeindezentrums samt Küsterwohnung mit sich. Unter anderem wurde der Eingang an der Giebelseite zugemauert; in die Johanneskirche kommen Besucher seitdem über das Zentrum. Und sie müssen auch nicht mehr auf unbequemen Bänken sitzen, wie Majewski erzählt, sondern auf Stühlen.

Fast 70 Jahre nach dem Bau sei der Zustand der Kirche bislang top. An einzelnen Fenstern musste mal die Verglasung ausgetauscht werden, erinnert sich Monhof. Am charakteristischen Holzgerüst, das der Pfarrer im Scherz auch gerne mal als „Ikea-Bauweise“ bezeichnet, „mussten wir aber schon sehr lange nichts mehr machen“. Auch er betont noch einmal: „Nein, die Johanneskirche ist bestimmt kein Provisorium.“