Wandlungsfähige Vorleserin Julia Wolff liest in der Literarischen Teezeit in Wuppertal eine Kurzgeschichte

Wuppertal · Julia Wolff sorgte am Freitag für eine ausverkaufte Literarische Teezeit.

Julia Wolff liest aus Katherine Mansfields „Der Fremde“ und begeistert damit bei der Literarischen Teezeit.

Foto: JA/Andreas Fischer

Gut 50 Neugierige ließen sich vom Winterwetter nicht abhalten und kamen ins Café Podest am Skulpturenpark. In dieser Spielzeit steht die Schauspielerin unter anderem mit der Märchenpersiflage „Es war einmal“ auf der Bühne. Bei der Teezeit war sie einmal mehr eine wandlungsfreudige Vorleserin. Während draußen Schneeregen und Wind herrschten, warteten auf die Gäste gedeckte Tische mit heißen Getränken und Gebäck.

Für die von Literaturhaus Wuppertal und Skulpturenpark veranstaltete Reihe hat Autor Michael Zeller in diesem Jahr Texte ausgesucht, die abwechselnd Männer und Frauen ins Zentrum rücken. Mit Katherine Mansfields „Der Fremde“ las Wolff eine Erzählung, die eine Paarbeziehung zugleich einfühlsam und ironisch schildert. Moderatorin Anne Linsel nannte Katherine Mansfield (1888-1923) „eine der ersten emanzipierten Schriftstellerinnen“. Schon als Jugendliche kehrte sie dem konservativen Elternhaus den Rücken und verließ ihre Heimat Neuseeland. In London studierte sie Literatur und fand in der Kurzgeschichte die ihr gemäße Form. Ein Jahr nach Veröffentlichung einer Geschichtensammlung starb sie an Tuberkulose.

Mansfield gilt als Mitbegründerin der modernen Short Story, weil sie das gradlinige Erzählen durch eine vielstimmige „Wortmusik“ auflockerte. Vom riesigen Ozeandampfer bis zum winzigsten Tier: Wolff machte ihre Zuhörer mit einer Fülle von Eindrücken vertraut. Nach und nach gab sie den Hauptfiguren Kontur: Mr. Hammond, der auf das einlaufende Schiff wartet. Mrs. Hammond, die zehn Monate weit weg in Europa war. Ihr Versuch, die Nähe wiederherzustellen, scheitert. Denn auf der Reise hat die Ehefrau eine Begegnung gehabt, die alles Gewohnte infrage stellt.

Wolff ging voll auf in den Dialogen des Paars und ließ das Unausgesprochene mitschwingen. Die zurückhaltend leise Stimme der Frau erweckte sie ebenso zum Leben wie das kräftige Organ des Mannes, das Selbstbewusstsein markiert. Dabei waren die von ihr gesetzten Ironiesignale nicht zu überhören: Mr. Hammonds Feststellung „Sie war genau wie immer“ hat etwas Beschwörendes und entpuppt sich am Ende als Selbsttäuschung.

So sehr die Rezitatorin auch in den Rhythmus der Sätze eintauchte – ihr Publikum verlor sie nicht aus den Augen. Immer wieder ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen, um alle in die Geschichte mit hineinzuziehen.

Bei der „Literarischen Teezeit“ am 29. November steht eine Sommergeschichte im Mittelpunkt: Schauspielintendant Thomas Braus liest „Die Frau auf dem Stein“ von Ivo Andrić.