Bildung Junior Uni: Studenten müssen nur vier Jahre alt sein
Die Bergische Metropole Wuppertal hat, was andere Städte gern hätten: die Junior Uni. Sie ist einmalig im deutschen Bildungswesen.
Wuppertal. Schutzbrillen fast so groß wie der ganze Kopf, weiße Kittel, die an den Ärmeln reichlich umgekrempelt worden sind, es zischt, es raucht — und große Augen starren gebannt auf das, was sich da vorn abspielt. So ist Studium in Wuppertal, so ist Lernen in Deutschlands einziger Junior Uni. Fast 40 0000 Teilnehmer haben in den vergangenen sieben Jahren die mehr als 3300 Kurse an der wohl ungewöhnlichsten Hochschule Europas besucht. Diese Einrichtung ist in vielerlei Hinsicht einmalig. Und dass sie ausgerechnet in Wuppertal steht, ist kein Zufall.
„Inzwischen ist die Junior Uni ein Standortfaktor“, sagt Ernst-Andreas Ziegler (76). Unternehmen nutzten sie potenziellen Führungskräften gegenüber als Argument, nach Wuppertal zu kommen. „Die Leute wollen doch auch gute Bildung für ihre Kinder.“ Die kleinen Kursteilnehmer kommen mittlerweile auch aus Düsseldorf, Köln, Duisburg und Bonn. Die Kinder- und Jugenduniversität macht etwas her. Dass Wuppertals Oberbürgermeister und die Ministerpräsidentin des Landes NRW ihre Schirmherren sind, zeigt, welchen Stellenwert sie hat.
Ziegler ist Journalist, ehemalige Leiter des Presseamtes, Geschäftsführer, Vordenker und Motor eines der ungewöhnlichsten Projekte in der deutschen Bildungslandschaft. Er hat sich vor Jahren in den Kopf gesetzt, Kindern mehr bieten zu wollen, mehr Wissen, mehr Lernen und vor allem mehr Spaß an beidem.
„Wir haben einige Schwierigkeiten und so manche Krise gehabt, in denen wir Hilfe hätten brauchen können. Aber jetzt sind wir stolz darauf, dass wir es allein schaffen“, sagt Ziegler. „Wir“ sind viele Ehrenamtler wie beispielsweise Ziegler selbst, ein paar Hauptamtler in Geschäftsführung und Verwaltung der Uni, und es sind viele Geldgeber. In dieser Hochschule für Studenten im Alter von vier bis 20 Jahren steckt nicht ein einziger Cent öffentlichen Geldes. Es ist alles privat finanziert. Das gilt auch für den laufenden Betrieb. Die Junior Uni ist ein Beispiel des ausgeprägten bürgerschaftlichen Engagements, das in Wuppertal den Gegenpol bildet zu hohen Schulden und vermeintlich schlechten Perspektiven.
Dennoch ist die Geschichte der Uni auch die einer schweren Geburt. Angesichts leerer Kassen hat die Stadtverwaltung von vornherein jede Beteiligung ausgeschlossen. Sie konnte nicht und sie durfte nicht. Städten im Nothaushalt sind solche Pralinen verboten. Heute ist Wuppertal zwar weitgehend wieder Herr seines Haushaltes, Geld für die teils noch sehr kleinen Studenten hat sie aber immer noch nicht. „Inzwischen bin ich froh darüber“, sagt Ziegler.
Das kann er auch. Denn wo kein öffentlicher Cent ausgegeben ist, kann die Öffentliche Hand sich auch nicht einmischen. Was gemacht und was gelehrt wird, bestimmt die Junior Uni allein. Naturwissenschaft, Jura, Geografie, Kunst, Technik, Management, Musik — alles altersgerecht, alles so, wie die jeweiligen Gruppen es verarbeiten können.
Für dieses breite Angebot versichert die kleine Uni sich der Expertise der großen Uni. Die Bergische Universität ist Partner und Unterstützer. „Die Junior Uni ergänzt die schon bestehenden Angebote der Bergischen Universität zur Einwerbung von qualifiziertem wissenschaftlichem Nachwuchs, wie zum Beispiel die Hochbegabtenförderung“, sagte Rektor Lambert Koch (50), als die Hochschulen ihre Zusammenarbeit vereinbarten.
Der Junior Uni geht es aber ausdrücklich nicht nur um Begabtenförderung. Es geht darum, Talente zu entdecken, Freude am Lernen und den Wert von Wissen zu vermitteln. Dass die Macher dabei auch Kinder aus den sogenannten bildungsfernen Schichten im Blick haben, versteht sich in Wuppertal von selbst.
Das System funktioniert. Kinder, die in der Junior Uni gewesen sind, kommen in der Schule und später im Studium besser zurecht. Und nicht nur das: Sie kommen auch zurück. Viele der Dozenten waren einst Kursteilnehmer, dann wissenschaftliche Mitarbeiter und sind nun als Studenten gleichzeitig Professoren an der Junior Uni. Die Systeme befruchten sich gegenseitig.
Und die Junior Uni befruchtet inzwischen einen ganzen Stadtteil. Um das fröhlich bunte, von den Wuppertaler Architekten Christoph Goedeking und Josef Niedworok kostenlos geplante Bauwerk entwickelt sich die ehemalige Hinterhofidylle unter der Schwebebahn zu einer Keimzelle moderner Stadtentwicklung. Am Gebäude ist die Wupper für Studienzwecke zugänglich, nebenan gibt es eine große Spielfläche. Die kleine Uni zieht große Kreise. Bildungsexperten aus Brüssel, der Slowakei, Finnland und Israel haben sich bereits über das Projekt informiert. Und fast täglich sagen sich weitere Interessierte an.
Und mehr noch. Die Junior Uni hat Wuppertal verändert. Aus „das schaffen wir nie“ ist tendenziell ein „das kriegen wir hin“ geworden. Dieses Wunder kostete fünf Millionen Euro, ist abbezahlt und nun auf dem besten Wege jene Unterstützer zu finden, die helfen, den laufenden Betrieb langfristig zu sichern. „Das kriegen wir hin“, sagt Ernst-Andreas Ziegler. In Wuppertal müssen Studenten nur vier Jahre alt sein — hier ist die Bildungsrepublik Deutschland Realität.