Kemna: Wie die Stätte des Grauens zum Mahnmal wurde
Vor 80 Jahren richteten die Nazis das KZ Kemna ein. Historiker Klaus Goebel erinnert in einem Beitrag an die Entstehung der Gedenkstätte.
Wuppertal. Bis in die ersten Januartage 1934 befand sich in der Ortschaft Kemna zwischen der heutigen Brücke der A 1 über die Wupper und Beyenburg ein nationalsozialistisches Konzentrationslager. Es war eines der ersten auf deutschem Boden und existierte ein halbes Jahr lang.
Die SA, bewaffnete Truppe der Nationalsozialisten, hatte es in einer Fabrik am Wupperufer eingerichtet. Wenige Monate genügten, um einer Großstadt zu zeigen, wozu die Nazis fähig waren. Nach allem, was wir wissen, wurde das Lager aufgelöst, weil sich in der Bevölkerung Neugier, aber auch Empörung bemerkbar machten.
In den darauf folgenden Jahren fiel das KZ der SA halbwegs der Vergessenheit anheim. Noch einmal machte es Schlagzeilen, als die Aufseher in einem Landgerichtsprozess 1948 wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit verurteilt wurden.
In der Gerichtsverhandlung wurde der Nachweis geführt, dass sie kriminelle Täter waren. Durfte das Geschehen in der Kemna aber wirklich vergessen werden? Bis zu einer dauerhaften Verankerung in Wuppertals Erinnerungskultur sollten noch Jahrzehnte ins Land gehen.
Im September 1978 gab die bevorstehende 40. Wiederkehr des Pogroms von 1938, der damals so genannten Reichskristallnacht, Anlass, Oberbürgermeister Gottfried Gurland eine Ausstellung über die Nazizeit in Wuppertal vorzuschlagen. Sie sollte durch Forschungen und Publikationen begleitet werden.
Es erschien dringend an der Zeit, die nationalsozialistische Herrschaft in Wuppertal aufzuarbeiten. Gurland und der damalige Kulturdezernent Klaus H. Revermann nahmen die Anregung auf. Im Rathaus traf sich dann mehrere Jahre ein Arbeitskreis unter der nüchternen Überschrift „Wuppertal in der Zeit des Nationalsozialismus“.
Viele Organisationen in der Stadt machten mit. Die Leiter von Kulturamt und Stadtarchiv, Hans Hermann Schauerte und zunächst Hartmut Sander, dann sein Nachfolger Uwe Eckardt begleiteten ein Konzept, das im Arbeitskreis beschlossen worden war. Das Stadtarchiv wurde sogar vorübergehend personell verstärkt.
Schon bald bezog der Arbeitskreis Orte ein, mit deren Namen sich nationalsozialistische Untaten verknüpften. Anfang 1981 war erstmals die Rede von einem Denkmal in der Nähe des KZ Kemna.
Um einen solchen Vorschlag zu realisieren, war die Plattform des Arbeitskreises zu erweitern. Das konnte nur der Rat der Stadt festlegen, zumal ein solches Projekt auch finanziert werden musste. Zu den Befürwortern gehörten schon bald die Kirchen, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und der Jugendring (JR).
Arbeitskreismitglied Heino Ahr schrieb als DGB-Vorsitzender an den Rat. In seiner Sitzung am 20. Juli 1981 — an diesem Tag jährte sich das Attentat auf Hitler 37 Jahren zuvor — beschloss der Rat der Stadt auf der Basis von Anträgen der SPD und der CDU einen Wettbewerb für Jugendliche. Das Mahnmal, das am Ende rund 50 000 DM kosten sollte, war durch Spenden zu finanzieren. JR-Vorsitzender Siegfried Wirtz sicherte handwerkliche Hilfe von Mitgliedern des Jugendrings zu. Die organisatorische Vorbereitung lag in den Händen des Kulturamtes.
Der Erfolg des Wettbewerbs war überwältigend. Mehrere Dutzend qualifizierte Beiträge trafen ein. Eine Jury aus Mitgliedern von Rat, Verwaltung und Arbeitskreis entschied Anfang Dezember 1982. Die Auswahl war nicht leicht zu treffen. Vier Mitglieder votierten für den Entwurf des Kunstkurses 13/2 des Gymnasiums Kothen, der dann den 1. Preis erhielt. Je drei entschieden sich für Entwürfe der Jugend der Industriegewerkschaft Metall und der Klasse 8 der Schule für Lernbehinderte an der Kyffhäuserstraße.
In den darauffolgenden Monaten nahm das Mahnmal Gestalt an. Die Einweihung erfolgte in einer unvergesslichen Feierstunde am 3. Juli 1983. Die Beyenburger Straße war an diesem Sonntagnachmittag für den Autoverkehr gesperrt. Ministerpräsident Johannes Rau, Oberbürgermeister Gottfried Gurland und unsere Arbeitskreis-Mitglieder Karl Ibach und Siegfried Wirtz sprachen. Niemand anders als Ibach hätte glaubwürdiger und authentischer von den Leiden der KZ-Häftlinge berichten können, war er doch 1933 mit 18 Jahren der jüngste unter ihnen gewesen. Davon und vom Prozess handelte auch sein Buch „Kemna. Wuppertaler Konzentrationslager 1933-1934“.
Das Ziel war erreicht. Der Jugendring nahm das Mahnmal unter seine Obhut. Auch der Arbeitskreis verwirklichte weitere Ziele. Die lange vorbereitete Ausstellung zur NS-Zeit in Wuppertal fand 1984 in der Immanuelskirche (über Kirchenkampf und Barmer Erklärung) und im benachbarten Obendiek-Haus Normannenstraße statt. Es erschien auch das erste von drei Büchern zum Rahmenthema „Wuppertal in der Zeit des Nationalsozialismus“. In einer Vortragsreihe über den evangelischen Kirchenkampf sprachen zahlreiche Zeitzeugen, während im Medienzentrum in der Verantwortung von Hans Werner Robke wichtige Dokumentarfilme produziert wurden.
Die Erinnerungsarbeit ging weiter, auch als der Arbeitskreis seine Tätigkeit im Mai 1987 beendete. Verdrängung dürfe nicht an die Stelle von Erinnerung treten, schrieb ich den Mitgliedern zum Abschied, Spuren seien zu sichern, nicht zu verwischen, Ursachenerforschung und Tatsachenschilderung weiter zu fördern. Dass der Rat der Stadt nach der Gedenkstätte Kemna wenige Jahre später auch ein öffentliches Denkzeichen für die verfolgten jüdischen Mitbürger beschloss, war als nahtlose Fortsetzung des Einsatzes für das Mahnmal in der Kemna zu betrachten. Daraus ist die Gedenkstätte Alte Synagoge geworden.
Beide Gedenkstätten stehen an historischen Orten der Stadt. Sie halten uns Zeiten vor Augen, in denen Freiheit und Recht immer weniger galten und die Diktatur einen Weltkrieg entfesselte. Im Vorwort zu dem Kemna-Buch von Karl Ibach hat der spätere Bundespräsident Johannes Rau 1980 zum Ausdruck gebracht, was gültig bleibt: „Wir sollten aus diesem Buch und aus drei Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte lernen, dass Unrecht und Gewalt in ihrem Anfang bekämpft werden müssen. Und wir alle sollten unser Wort verpfänden, dies jederzeit zu tun.“