Soziales Kinderarmut in Wuppertal: Zahlen sinken nur leicht
Wuppertal · Im Dezember 2023 bezog jedes vierte Kind in Wuppertal Bürgergeld.
Die Zahl der Wuppertaler Kinder, deren Familien Geld vom Jobcenter beziehen, ist zwar gesunken, aber weiterhin auf einem hohen Niveau: Rund 16 000 Kinder und Jugendliche bis zu 18 Jahren gehörten im Dezember 2023 zu einer Familie, die Bürgergeld erhielt. Damit lebten 25 Prozent oder jedes vierte Wuppertaler Kind zumindest teilweise von Bürgergeld. 2018 waren es 17 400 Kinder und eine Quote von fast 29 Prozent. Nach Zahlen der Bertelsmann Stiftung liegen die Zahlen in Wuppertal deutlich höher als im Landesschnitt (siehe Infokasten).
Sie kommen ohne Socken in die Alte Feuerwache, in schmutziger Kleidung oder tragen den gleichen Pulli die ganze Woche. Sie haben keinen Malkasten für die Schule und keine Turnschuhe für den Sportunterricht. Bei solchen Mängeln vermuten die Mitarbeiter des Jugend- und Begegnungszentrums Alte Feuerwache an der Gathe, dass die Familien der Kinder wenig Geld haben. „Wir wissen auch von Wohnungen, die in einem schlechten Zustand sind“, erklärt Jana Ihle, Geschäftsführerin der Alten Feuerwache. Dann hören sie von Schimmel, kaputten Möbeln, davon, dass mehrere Personen auf Matratzen auf dem Boden schlafen.
Aber auch an nicht-materiellen Dingen zeigt sich Not. Jana Ihle berichtet von instabilen Familienverhältnissen, alleinerziehenden Müttern, die so belastet sind, dass es ihnen schwerfällt, den Tag für ihre Kinder zu strukturieren: „Die Kinder müssen das selbst machen.“ Dann haben sie kein Schulbrot dabei, vergessen den Turnbeutel. Und dann sind da noch die Krankheitssymptome, die durch Stress entstehen wie Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Schlafprobleme sowie Frustgefühle, Einsamkeit, fehlende Impulskontrolle – alles Folgen von schwierigen Lebensverhältnissen.
Um Kinder besser zu unterstützen, fordert Jana Ihle einerseits mehr staatliche Unterstützung für die Familien, andererseits bräuchten auch Einrichtungen wie die Alte Feuerwache mehr und verlässlich Geld. Denn ihre Arbeit sei nachweislich wirksam. Zwar erhielten sie und andere Einrichtungen öffentliches Geld, aber sehr viel müssten sie durch Projektförderung und Spenden finanzieren. „Solche Familien brauchen eine verlässliche Struktur.“
Gefahr für den
sozialen Zusammenhalt
Unzureichende Kleidung bei armen Kindern erlebt auch die Kindertafel der Wuppertaler Tafel. Deshalb hat es im Dezember eine Spendenaktion gegeben, bei der Familien warme Winterschuhe für die Kinder erhielten. Auch Bärbel Hoffmann von der Diakonie kennt viele arme Familien – die Geld für Kinderkleidung brauchen, Probleme mit der Energie-Rechnung haben, kein Geld für Kinderzimmermöbel haben. Die Diakonie hilft, indem sie Geld bei Behörden oder Institutionen wie dem Verein Kindertal beantragt. Und sie unterstützt Familien bei den Anträgen, mit denen diese oft überfordert seien.
Die Folge für die Kinder sei oft Ausgrenzung – wenn sie eine Einladung zum Geburtstag nicht erwidern können, wenn sie sich trotz Unterstützung bestimmte Sportarten nicht leisten können, weil die Ausrüstung und die Fahrten eben mehr kosten, weil sie keinen internetfähigen Computer zu Hause haben. „Das hat Auswirkungen auf die Seele“, betont Bärbel Hoffmann.
Sie hofft auf die geplante Kindergrundsicherung, fordert mehr Geld für das Bildungssystem und für Angebote wie Kitas, Offenen Ganztag und die Einrichtungen der Offenen Tür, die für Kinder und Jugendliche Angebote im Stadtteil machen. Sie betont: „Das ist für den sozialen Zusammenhalt wichtig.“
Auf die Gefahr für den sozialen Zusammenhalt durch wachsende Armut weist auch Caritasdirektor Christoph Humburg hin: „Es ist später als fünf vor zwölf“, mahnt er. Seit Jahren werde das Bildungssystem kaputtgespart, was sich an maroden Schulen, zu wenig Betreuungsplätzen und sinkenden Qualitätsstandards zeige. Dabei sei Bildung der Schlüssel zur Bekämpfung der Armut: „Wir müssen dringend in Bildung investieren, das ist das A und O.“
Thomas Lenz, Chef des Wuppertaler Jobcenters, blickt noch skeptisch auf die geplante Kindergrundsicherung. „Es wäre ohne Zweifel sinnvoll, alle Leistungen zusammenzufassen.“ Wenn aber eine neue Behörde, der geplante Familienservice, alle Leistungen für Familien auszahlt, verringere sich der Kontakt zum Jobcenter und seinen Mitarbeitern. Vieles wie geplant digital zu erledigen, sei nicht sinnvoll. Erstens kämen viele technisch und sprachlich damit nicht klar. Und zweitens sei eben ein größerer Teil ihrer Arbeit Unterstützung bei Problemen und Konflikten. Lenz erklärt: „So etwas kann man nur vor Ort klären.“
Er hält es für sinnvoller, mehr Geld in Infrastruktur wie Kitas, Schulen und Schulsozialarbeit sowie in die Jugendhilfe zu stecken. „Gerade Kinder brauchen Verlässlichkeit.“