Was glauben Sie denn? Klezmer – Geräte des Gesangs

Wuppertal · Ruth Tutzinger, Vorsitzende des Gemeinderates der Jüdischen Kultusgemeinde Wuppertal, schreibt über den Ursprung des bekannten Musikstils.

Wuppertal

Foto: Fries, Stefan (fri)

Klezmer ist die jiddische Aussprache des hebräischen Wortes „Klei-semer“, was „Geräte des Gesangs“, also Musikinstrumente bedeutet. Die Klezmorim sind die Musikanten.  Wir verbinden mit diesem Ausdruck in der Regel ostjüdische Volksmusik, obwohl der hebräische Begriff schon für die Instrumente in der Tempelzeit und durch alle Jahrhunderte verwendet wurde und noch wird.

Durch die Konzilsbeschlüsse von Piacenca und Clermont 1095 kam es bis zum Ende des 13. Jahrhunderts bekanntlich zu mehreren Kreuzzügen zur Befreiung des Heiligen Landes mit Jerusalem von den Ungläubigen. Mit den Rittern aber zogen auch viele fanatisierte Söldner los, die sich sozusagen „zur Übung“ schon mal mordend und brandschatzend über alle jüdischen Gemeinden hermachten, durch die sie auf dem Weg dorthin kamen. Das waren die alten jüdischen Gemeinden im Osten Frankreichs, die entlang des Rheines, in Mittel- und Süddeutschland und in Böhmen. Zwar versuchten einige Bischöfe und Fürsten „ihre“ Juden zu schützen, trotzdem wurden Tausende umgebracht. Überlebende suchten ihr Heil in der Flucht immer weiter nach Osten. Der polnische König und auch die polnischen Fürsten nahmen sie damals mit offenen Armen auf. Sie hatten viel brachliegendes Land, das bearbeitet werden musste und sie versprachen sich durch die guten Handelsbeziehungen der Juden einen wirtschaftlichen Aufschwung.

Zunächst lief auch alles gut, bis durch immer wieder aufflammende Streitigkeiten zwischen dem polnischen und den angrenzenden Fürstentümern, der chaotischen Herrschaft Augusts des Starken und schließlich der Großmachtbestrebungen der Preußen, Russen und Österreicher  Polen immer mehr zerrissen wurde und die Juden ihre Privilegien nach und nach verloren. In den Hafen- und Hansestädten Litauens ging es den Juden noch am besten. Dort entwickelten sich später berühmte Talmudschulen. Doch in den ländlichen Gebieten verelendeten die Menschen zunehmend, da ihnen inzwischen die meisten Berufe verboten waren. Und was macht ein Jude, wenn er kaum noch Möglichkeiten hat?  Er bastelt sich ein Musikinstrument, eine Flöte, eine Trommel, ein Tamburin.

Seit dem Verlust des Tempels hatte es keine Instrumentalmusik mehr im Gottesdienst gegeben. Lediglich der Kantor und ein paar Knaben sangen die Gebete und Texte mit Inbrunst und eigenen Kantillationen. Aber außerhalb der Gebetszeiten gab es viele Gelegenheiten, die ohne Musik nicht denkbar waren. Vor Beginn des Schabbats wurde die Königin Schabbat mit Musik und Tanz im Freien empfangen und am Ende des Schabbats wurde sie mit etwas Wehmut wieder verabschiedet. Bis ins 19. Jhdt. spielten die Klezmorim meistens ohne jegliche Notenkenntnis. In ihrer Musik mischten sich fröhliche und traurige Töne.

Eine andere Gelegenheit, Musik zu machen, war eine Hochzeit. Es war ein Gebot, Braut und Bräutigam zu erfreuen. Die Braut, der Bräutigam, die Eltern und alle Gäste wurden von den Musikanten von zu Hause abgeholt und mit Trommelwirbel, Flötentönen oder dem Klang der Fidel zum Hochzeitssaal geleitet. In jedem Dorf gab es einen größeren Raum, eine Tenne oder Scheune, in dem man die große Schar unterbringen konnte. Bei begüterten Menschen bewarben sich die Klezmorim schon, sobald sie von dem Hochzeitstermin erfuhren und handelten einen Vertrag aus. Bei armen Leuten spielten sie, um der Ehre willen, umsonst und bekamen hin und wieder etwas zugesteckt. Ebenso wurden Beerdigungen und alle anderen Familienfeste mit Musik begleitet. Große Bedeutung im Festkalender hatten auch das Purim- und das Chanukkafest. Da konnten auch fröhliche Schwänke und kleine Theaterstücke aufgeführt werden. Übrigens gehörte zu jeder Klezmer-Gruppe, auch wenn sie aus nur drei Personen bestand, unbedingt ein „Badchen“, ein Spaßmacher, der lustige Geschichten erzählte oder auch sang. Dies konnte durchaus auch der Kantor sein. Dabei darf man sich keine Musikkunst wie im heutigen Sinne vorstellen. Meistens waren es derbe, bäuerliche Tänze, die je nach Anlass ausgelassen oder eben sehr gedämpft, aber immer mit vollem Einsatz und Herzblut gespielt wurden. Ein guter Musikant spannte nach und nach seine Söhne und Töchter mit ein. Sie alle kannten zwar keine Noten, hatten aber ein geschultes Gehör und übten oft stundenlang. Sie lebten am Rande der Existenz, haben oft gehungert, aber trotzdem gespielt. Immer wieder mussten Sie Schwierigkeiten überwinden. Es gab Rabbiner, die aus Sorge vor Ausschweifungen die Musik verbieten ließen, weil auch öfter Alkohol getrunken wurde. Es gab Bischöfe und Priester, die gegen die jüdischen Musikanten wetterten.

Letztendlich konnte die Liebe zur Musik aber alle Hürden nehmen. Alle Klezmorim bezogen ihre Melodien aus den allseits bekannten Volkstänzen, doch jeder Klezmer, der eine Gruppe anführte, legte seinen Ehrgeiz und Stolz darein, in diese Melodien eigene überraschende Wendungen einzubauen.

Nach und nach kamen zu den Instrumenten Violinen, Kontrabässe, Zittern, Hackbretter genannt, Klarinetten, Querflöten und mehr dazu. Die Spaßmacher entwickelten ihre Kunst weiter zum Brettl-Kabarett bis hin zum jiddischen Theater. Aus den Klezmer-Familien sind später herausragende Solisten wie Jascha Heifetz, Davids Oistrach und Artur Rubinstein, um nur einige zu nennen, hervorgegangen. Die Welt und die Musik der Klezmorim jedoch ist mit der Schoah unwiederbringlich untergegangen. Natürlich gibt es heute sehr gute Musiker, die diese alte Volksmusik pflegen und bewahren, doch der ganz besondere Ton, der über Generationen dem Leid abgetrotzt wurde, wird wohl mit den letzten Überlebenden verklingen.