Kirchenkolumne Milch oder Schwarzbrot
Wuppertal · Der Theologe kennt das – und die Theologin auch: Wenn die Herausforderungen des Lebens komplex werden, lautet die Frage entweder: Wie kann Gott das zulassen? – oder: Was würde Jesus dazu sagen? Sicher, beide Fragen zeugen eher von einer Haltung, die die Verantwortung für die unangenehmen Dinge gerne an den Allerhöchsten delegiert, dessen Existenz manch ein Fragesteller gleichzeitig aber ablehnt: Wenn es einen Gott gäbe, könne er doch so ein Ungemach unmöglich zulassen!
Was glauben Sie denn?
Tatsächlich führt uns wohl auch die Corona-Pandemie vor diese Frage, wie Gott, so er denn ist, das überhaupt zulassen könne. Die Frage erscheint bei näherer Betrachtung einigermaßen naiv, fast kindlich. Das waren doch noch Zeiten, als die kleinen und großen Probleme von Eltern, Großeltern, Lehrerinnen und Erziehern gelöst wurden. Selbst im jugendlichen Alter, in dem man pubertätsstrotzend zu allem fähig, aber für nichts verantwortlich war, konnte man sich meist auf die helfenden Interventionen der Alten verlassen, die man ansonsten lieber außen vor ließ. Zu irgendetwas müssen diese Leute doch gut sein, wenn sie auch sonst nur stören ... Man wäre dabei doch gerne selbst schon groß, ist aber dann doch mit den Herausforderungen des Lebens immer wieder überfordert. Man will leben und genießen, aber noch keine Verantwortung übernehmen. Der Preis dieser seligen Unmündigkeit ist freilich, dass man pünktlich zu Hause sein muss und immer wieder um Erlaubnis fragen muss – und das nervt! Aber Verantwortung? Ist auch anstrengend ... Erwachsensein hingegen zeichnet sich gerade durch diese Verantwortung aus.
Angesichts der Herausforderungen des Lebens kommt es vor, dass auch Erwachsene eine Tendenz zur Rückentwicklung zeigen. Der liebe Gott soll es richten, über den, wenn das Ergebnis nicht entsprechend ausfällt, Glaubende wie Nichtglaubende schimpfen. Dabei warnt schon der Hebräerbrief: „Ihr seid solche geworden, die Milch nötig haben, nicht feste Speise. Denn jeder, der noch mit Milch genährt wird, ist unerfahren im richtigen Reden; er ist ja ein unmündiges Kind; feste Speise aber ist für Erwachsene, deren Sinne durch Gebrauch geübt sind, Gut und Böse zu unterscheiden.“ Was also würde Jesus dazu sagen?
Die Antwort gibt es schwarz auf weiß. Als er gefragt wurde, wie das mit dem Beten geht, lehrte er seine Jünger das Vaterunser. Darin gibt es eine Bitte, die es in sich hat: „Unser tägliches Brot gib uns heute.“ Die betet man so leicht dahin. Dabei liegt in ihr die Antwort. Brot fällt nämlich nicht vom Himmel. Brot gibt es nur, wenn göttliche Gabe durch menschliche Arbeit zusammenkommen – so wie es in einem an alte jüdische Dankgebete, die Brachot, angelehnten Lobgebet heißt, dass der Priester in der katholischen Eucharistiefeier über das Brot spricht: „Gepriesen bist du, Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt. Du schenkst das Brot, die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit. Wir bringen dieses Brot vor dein Angesicht, damit es uns das Brot des Lebens werde.“ Gottes Gabe wird durch den Menschen in Verantwortung verarbeitet. Brot fällt eben nicht vom Himmel. Der Mensch muss das Seine schon dazu tun.
Das ist nichts für Milchtrinker, wohl aber für Schwarzbrotesser. Beten alleine hilft wohl nicht. Lamentieren und jammern auch nicht. Erwachsen ist, wer die Herausforderungen des Lebens annimmt und mit ihnen umgeht. Der Verstand als göttliche Gabe hilft da schon viel – und Virologinnen und Impfforscher, Epidemiologen und viele andere Forscherinnen haben davon, Gott sei Dank!, reichlich Gebrauch gemacht. Jetzt liegt es an jeder und jedem einzelnen von uns, die Gottesgabe ebenfalls zu nutzen, um das Virus zu besiegen. Sie glauben nicht an Gott? Das ist eigentlich egal: Verstand sollten sie ja trotzdem haben. Wagen sie es, ihn zu nutzen. Es hilft.