„Ahnen“: Im Gedächtnis bleiben beklemmende Bilder

Das Tanztheater präsentiert in der Reihe Pina 40 eine Neueinstudierung des Stücks aus dem Jahr 1987. „Ahnen“ verstört und beeindruckt gleichermaßen.

Foto: Oliver Look

Wuppertal. Riesige Kakteen recken wie gesichtslose Gnome die Arme in die Höhe, ein alter Indianer sitzt in stoischer Ruhe wie ein lebendes Mahnmal, ein Punk im Schotten-Kilt hüpft über die Bühne. Vom Band hämmern afrikanische Rhythmen wie Beschwörungs-Formeln. Pina Bauschs „Ahnen“ von 1987 eröffnete am Samstagabend im ausverkauften Opernhaus die Reihe von weiteren Terminen der Neueinstudierung.

Die Ahnen sind vielleicht die Geister aus der Vorzeit, aber „ahnen“ kann man, was die rasch wechselnden Bilder, Szenen, Pantomimen, Schritte und Tänze im Zuschauer auslösen: Verwirrung, Beklemmung und Entsetzen, aber auch Staunen, Genuss und Freude. Pina Bausch sagte: „Die Wirklichkeit kann man ja gar nicht überbieten“ — und so mutet „Ahnen“ an wie eine Collage aus einer absurden Realität.

Das Wiedersehen mit Tänzern, die schon in der Erstfassung dabei waren, weckt nostalgische Gefühle. Doch auch die Frage nach neuem Leben, nach neuen Stücken im Tanztheater drängt sich auf. Den roten Faden sucht man in den frühen Bausch-Stücken vergebens: Zu revolutionär war ihre Technik, die Tänzer mit Fragen, Themen und Stichworten zu Aussagen, Liedern und Handlungen zu bewegen.

Im Gedächtnis bleiben beklemmende Bilder: Julie Anne Stanzak ist der Wunsch nach Liebe mit einem roten Herz mitten ins Gesicht gemalt: Wie eine Zwangshandlung wirkt das unentwegte Reiben von Kreide oder Seife und das Streicheln des eigenen Knies. Begraben werden Wünsche: Michael Strecker schüttet Wasser in den Glassarg, in dem zunächst Julie Shanahan scheinbar ertränkt wird, später Tsai-Chin Yu sich immerhin noch hochreckt und die Melodie der unendlich traurigen Ballade auf dem Klavier begleitet — ein letztes Aufbäumen?

André Enthöfers ruhige, auf dem Saxophon geblasene Melodie zum Piano unterbricht ein Schuss — wie oft werden Träume so jäh beendet. Unvergessen sind Lutz Försters Tanz-Pantomimen — geschmeidig ausgeführt wie eh und je. Die Ensemble-Szenen sind rar gesät in diesem Stück: Ein Tanz-Schreiten durch den Kakteen-Wald, kurze Paar-Tänze, eine Sitz-Choreografie der Damen. Auch die wird plötzlich gestört: Das intensive Surren eines ferngesteuerten Modell-Hubschraubers übertönt das heitere japanische Lied und bedroht von oben — Flucht ist angesagt.

Am Ende kann der quirlige Hund Sloogy von Jean-Laurent Sasportes nur froh sein, dass er nicht durch den Reifen gegen die Wand springen muss wie sein Herrchen. Ungelöst bleiben die vielen Fragen, die sich der Zuschauer stellt. Antworten muss er ganz allein finden.