Serie: Kunst ist überall Die Powerfrau hat’s schwer

Beschädigt und verspottet: Henry Moores „Sitzende“ erlebt in Wuppertal eine wenig ruhmreiche Geschichte.

Wuppertal. Für eine „Sitzende“ ist Henry Moores Skulptur schon ziemlich viel durch Wuppertal gewandert. Angefangen hat alles damit, dass die Stadt 1957 ihre neue Schwimmoper mit Kunst aufwerten wollte.

Es gab schon einige Entwürfe, doch die Vertreter der Stadt wollten zur kühnen Architektur des Bades auch eine moderne Skulptur und wandten sich an den britischen Bildhauer Henry Moore (1898 — 1986). Der kam, sah und schlug die Figur einer sitzenden Frau vor.

78 000 Mark wollte er respektive seine Galerie Czwiklitzer dafür haben. Das städtische Budget sah jedoch nur rund 50 000 Mark für die Kunst am Bau vor. Man handelte einen Preisnachlass aus: Die Figur kommt für 50 000 Mark nach Wuppertal, dafür darf Moore zwei weitere Abgüsse anfertigen lassen, sie aber nicht nach Deutschland verkaufen. Letztlich hat er bei Susse Fondeur Paris, der ältesten Gießerei Frankreichs, sechs Exemplare anfertigen lassen. Doch in Deutschland gibt es immerhin nur das eine — und das ist oben am Sockel mit „Moore 1“ gekennzeichnet.

Der Bildhauer lieferte pünktlich im Oktober 1958, aber die Stadt hatte den Sockel noch nicht fertig. Also wurde die „Sitzende“ erst nach Barmen transportiert, wo sie die Wiedereröffnung der ehemaligen Ruhmeshalle als Haus der Kunst schmückte. Im Sommer 1959 ließ man sie noch zur Documenta 2 nach Kassel reisen.

Am 24. November 1959 wurde die Skulptur endlich an der Schwimmoper der Öffentlichkeit übergeben. Die Wuppertaler trafen auf eine ebenso lässige wie dynamische Powerfrau — und die fanden sie bedrohlich und ungehörig. Nur die Kinder kletterten unvoreingenommen darauf herum.

Carmen Klement, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Von der Heydt-Museum, schildert die Lage: „Die figurative Frauengestalt mit ihren flächigen, abstrahierten Gesichtszügen und der Ausstrahlung großer Kraft, Spannung und Energie stieß auf viel Unverständnis, öffentliche Ablehnung und aggressiven Spot bis zur Zerstörungswut.“ Die Proteste gipfelten darin, dass die Plastik in der Nacht vom 5. zum 6. Dezember 1959 geteert und gefedert wurde. In einem Bekennerbrief bedauerten die Akteure, dass aus der „Sitzengebliebenen“ keine 100 Bratpfannen gemacht worden seien, schrieb damals der „General-Anzeiger“.

Im Karnevalszug 1960 wurde die „Sitzende“ als „Moore-Leiche“ bezeichnet. Und am 1. April 1960 standen plötzlich sieben Zwerge um das „Schneewittchen“ herum.

1963 schenkten die Stadtwerke, rechtlich die Eigentümerin, die Plastik dem Kunst- und Museumsverein mit der Auflage, einen neuen Standort zu finden. Ende 1965 wurde beschlossen, sie vor dem neuen Schauspielhaus an der Bundesallee aufzustellen. Prompt war sie wieder Thema im Karnevalszug, diesmal als Funkenmariechen.

1998 wurde die Plastik zu einer Retrospektive Moores nach Wien geschickt und vorher restauriert. Vor das heruntergekommene Schauspielhaus sollte sie nicht zurück, deshalb wurde sie ins Foyer des Von der Heydt-Museums gequetscht. Im Frühjahr 2010 kehrte sie dann zur wiedereröffneten Schwimmoper zurück. Allerdings hat man sie im Eingangsbereich aufgestellt, um sie vor saurem Regen und Vandalismus zu schützen — zu beengt, um ihre wahre Wucht zu entfalten.

Die Wuppertaler haben sich einigermaßen mit der kräftigen „Sitzenden“ angefreundet. Moore erklärte seine Kunst so: „Mich bewegt am stärksten eine Skulptur, die vollblütig, autark, vollrund ist. Sie ist kraftvoll und vital, sie strahlt etwas von der Energie und Mächtigkeit großer Berge aus.“

Bei manchen mag das Wohlgefallen nicht von der Kunst allein herrühren, sondern daher, dass nur wenige Städte eine solche Gewandfigur zeigen können. Ein schlechtes Geschäft war die Sache auch nicht: Beim Auktionshaus Christie’s erzielte ein Abguss 1998 einen Erlös von 570 000 Pfund, damals mehr als 700 000 Euro..