Dieter Nuhr sagt die Wahrheit über Wuppertal
In der ausverkauften Stadthalle entlarvte der Düsseldorfer kleine und große Alltagslügen. Das Publikum war begeistert.
Wuppertal. Mal ganz ehrlich: Wenn ein fröhlicher Fortuna-Fan auf wackere Wuppertaler trifft, gibt es Steilvorlagen, die man(n) nur verwandeln kann. Dieter Nuhr macht es so genüsslich, als stünde er gerade vor einem leeren Tor und dürfte einen Elfmeter verwandeln: "Wissen Sie, was unser großer Vorteil ist? Wir Düsseldorfer haben wenigstens Stühle."
Sehen wir es sportlich: Beim Stadionvergleich schießt der Wortdribbler zwar verbal übers Tor hinaus, aber wenn einer Witze über die WSV-Heimat machen darf, dann ist es der Kabarettist aus der Landeshauptstadt. Sein Wuppertaler Publikum ist jedenfalls tolerant genug, um alle Seitenhiebe mit Humor zu nehmen.
Denn: Stühle gibt’s natürlich auch in Wuppertal. Nicht nur im Stadion, sondern auch in der Stadthalle. Da passt es bestens, dass Nuhr der einzige ist, der zweieinhalb Stunden lang stehen muss, während alle anderen einen Sitzplatz haben. Kein Wunder: Der Saal ist ausverkauft - und der 47-Jährige zwar ein passionierter Plauderer, aber kein kalauernder Schwätzer, der etwas aussitzen will.
Schnörkellos präsentiert der Düsseldorfer "Nu(h)r die Wahrheit": Dem vollen Saal steht eine leere Bühne gegenüber. Der Star des Abends braucht keine große Kulisse, sondern nur Jeans, ein schwarzes T-Shirt und einen Stehtisch - an dem er sich aber nur dann festhält, wenn er sich selbst auf den Arm nehmen will.
Denn auch das ist die Wahrheit: Leise Selbstironie gehört zu Nuhr wie seine ruhige Stimme und die wohl durchdachte Eigenkritik. Der Philosoph unter den Kabarettisten spielt mit den rhetorischen Fähigkeiten, stellt sein Programm scheinbar selbst auf den Prüfstand ("Das kann man eigentlich gar nicht erzählen"), schweift augenzwinkernd ab ("Ich weiß gar nicht, wie ich darauf gekommen bin") und sucht ganz geschickt die Nähe zum Publikum: "Rede ich zu viel?"
Das tut er natürlich nicht. Wer die Wahrheit sucht, dem darf schließlich nichts heilig sein. Die Lästerzunge des ehemaligen Messdieners kennt deshalb kein Pardon, zweifelt daran, dass Gott seinen Schöpfungsauftrag in wenigen Tagen meistern konnte ("Da habe ich mit Handwerkern andere Erfahrungen gemacht") und widmet sich katholischen Beichtprinzipien ("Man darf alles, muss nachher nur Bescheid sagen") genauso ketzerisch wie buddhistischen Phobien: "Manche fürchten, im nächsten Leben als Spreewaldgurken wieder zu kommen."
Dabei glänzt Nuhr mit einem Charme, der selbst heikelste theologische Themen (fast immer) geschmackssicher platziert. Angst hat er offensichtlich nicht - weder vor der Hexenverbrennung noch vor radikalen Islamisten. "Wahrheit hat nichts mit Religion zu tun", bilanziert er keck. "Jede Seite denkt, die andere sei bekloppt. Dabei haben beide Recht - weil sich alle an die eigene Beklopptheit gewöhnt haben."
Das gilt natürlich auch für die unterschiedliche Wahrnehmung von Frauen und Männern, die (nicht nur) beim Einkaufen ihr eigenes Planungstempo haben und erst, wenn es eigentlich schon zu spät ist, an einem stillen Örtchen die Losung ausrufen: "Ich muss neues Klopapier jagen." Weil Nuhr natürlich selbst ein (Pointen-)Jäger ist, müssen sich auch Frauen, die gerne Umkleidekabinen testen, warm anziehen.
Punkte sammelt er nämlich vor allem durch Alltägliches - durch Beobachtungen zwischen Probiersöckchen und Multifunktions-Büstenhaltern ("Was können die eigentlich noch?"). Am Ende fügen sich alle Abschweifungen wie Mosaiksteine zusammen - bis eine einzige Wahrheit übrig bleibt: "Ahornsirup klebt."
Ganz ehrlich: Nach Verschwörungstheorien und einer Verlängerung durch Zugaben wird der Fußball-Fan wie ein Sieger gefeiert - auch auf den Verdacht hin, dass so manche These ("Männer hören alles, nur nicht zu") eine glatte Lüge gewesen sein könnte.