Hänsel und Gretel - Ein Familienstück mit viel Bewegung
Oper feiert mit Hänsel und Gretel Premiere. Der Wiederkennungswert ist trotz des spärliches Bühnenbildes hoch.
Wuppertal. Machte oder macht man aus Engelbert Humperdincks spätromantischer Oper „Hänsel und Gretel“ ein Regietheater, waren und sind solche Inszenierungen nicht selten starker Kritik ausgesetzt. Denn wenn Kindesmissbrauch oder Kannibalismus zum Thema gemacht wird, wird daraus ein reines Erwachsenenstück — ganz entgegen der Intention des Komponisten.
Damit hat die Darbietung im Wuppertaler Opernhaus glücklicherweise nichts zu tun. Wenn sich ein Premierenbesucher äußert, die Vorstellung noch einmal besuchen zu wollen oder ein Kind zum Schluss begeistert aufsteht und klatscht, sind das positive Zeichen für eine gelungene Sichtweise des beliebten, zu Papier gebrachten Stoffs der Gebrüder Grimm.
„Kinderstubenweihfestspiel“ nannte Humperdinck sein Opus selbst einmal ironisch in Anlehnung an Richard Wagners Musiktheater. In Personalunion als Regisseur, Kostüm- und Bühnenbildner verlagert Denis Krief zu Beginn und im Finale das Elternhaus in eine schlichte Bretterbude mit ärmlichen Mobiliar. Genauso bescheiden ist die Kleidung der Familie um den Besenbinder. Der finstere Wald besteht aus in der Mitte der Bühnen aufgestellten mit Stoff bezogenen Holzrahmen, die sich manchmal drehen. Darin verirren sich die beiden Kinder. Auf sie und den ganzen Bühnenkomplex werden Videos gebeamt: Hexenritte wie die Sagen über ihre Versammlungen etwa auf dem Blocksberg oder grüner wie grau-abweisender Wald. Das Knusperhäuschen ist eine kleine Bretterhausfassade, vor der die Hexe mit Hänsel und Gretel ihre schaurigen Spielchen treibt. Trotz des spärlichen Bühnenbilds ist der Wiedererkennungseffekt groß. Alles ist da oder wird auch für die junge Generation begreifbar angedeutet.
Es ist einiges los auf der Bühne. Es gibt keinen Stillstand. Hänsel und Gretel wuseln daheim und im dunklen Wald durch die Gegend. Auch die Kinder sind als Schutzengel in Bewegung. Die Hexe hat gehend und auf dem Besen einiges zu tun, um die Kinder in Schach zu halten — nützt aber trotzdem nichts. Auch im Schlussbild mit den geretteten Kindern gibt es keinen Stillstand.
Doch nicht nur die Augen kommen auf ihre Kosten. Auch die Trommelfelle dürfen sich im Großen und Ganzen wohl fühlen. Allen voran sind es Mezzosopranistin Catriona Morison in der Hosenrolle als Hänsel und Sopranistin Ralitsa Ralinova alias Gretel, die neben ihrer erstklassigen Darstellungskraft den Hauptrollen auch in allen Belangen stimmlich zu gebührenden Charakteren verhelfen.
Mark Bowman-Hester ist die Knusperhexe mit ihren ellenlangen, zauberstabartigen Fingern. Adäquat gemein ist sein Tenor, mit der er das Heft in der Hand halten will.
Mit ebenso beweglichen Gesängen beeindrucken Alexander Marco-Buhrmester (Bariton) als Papa Peter und Belinda Williams (Mezzosopran) als Mama Gertrud.
Das Sandmännchen kommt als Geisha, das Taumännchen als weißer Engel mit wallendem blonden Haar daher. Sie werden von Nina Koufochristou verkörpert, deren ausdrucksstarker Sopran ein wenig tragfähiger sein kann.
Den Kinderchor der Wuppertaler Bühnen hat Markus Baisch hervorragend einstudiert, der mit harmonischen Gesängen begeistert.
Mit dieser Inszenierung steht Generalmusikdirektorin Julia Jones erstmals hier am Dirigentenpult der Oper. Stets achtet sie auf das Bühnengeschehen und sorgt dafür, dass die Sänger unverkrampft ihre Rollen gestalten können. Und das Sinfonieorchester Wuppertal spielt frisch und beherzt auf.
Der lang anhaltende Schlussapplaus als Dank an alle beteiligten Personen ist auch Ausdruck dafür, dass diese kurzweilige Produktion eine schöne Weihnachtsveranstaltung ist.