Kopfurlaub im Seelenkino
Die Schauspielerin Renan Demirkan sorgte für einen grandiosen Auftakt der beliebten Reihe. In den Leseabschnitten gab es eine musikalische Pause mit der Formation Ufermann.
Wuppertal. Ob es an dem sehnsüchtig erwarteten Startschuss zur dritten Staffel der Reihe "Wuppertal liest" lag oder ob der berühmte Name eine so gewaltige Sogwirkung hatte: In der CityKirche eröffnete Renan Demirkan am Sonntagabend die diesjährigen Lesereihe - und die Alte reformierte Kirche war natürlich voll besetzt.
"Mir ging die Seele auf, als ich das Buch las", lobte die Schauspielerin den Roman "Iskender" von Hermann Schulz. Nach einem ausgiebigen Frühstück hatte sie bei der Vorbereitung, der "wunderbaren Lektüre" sei Dank, "einen ganzen Tag Kopfurlaub im Seelenkino" erlebt. "Und deshalb lese ich Ihnen heute Ausschnitte und Fragmente vor. Ich habe mal hier gepickt und mal da etwas ausgewählt."
Die Begegnung zwischen Asaf Karpat und seinem Sohn, der zu diesem Zeitpunkt noch Alexander genannt wird, hatte sie ihrer Lesung vorangestellt, ehe sie mit dem ersten Satz des ersten Kapitels begann. "In den Tageszeitungen des Ruhrgebiets erschien im März 1968 eine kleine Notiz. Ein geistig behinderter Junge von sieben Jahren war aus einem Heim in Duisburg verschwunden."
Bilder führen entlang von Pappeln und Kiefern an eine türkische Grenzstation, an Moscheen vorbei in das Dorf Yeniköy im Taurusgebirge. Diese Bilder der Türkei entstanden im Kopf der Zuhörer, ihre Farben, Lebendigkeit und Tiefe.
Gleichzeitig entstanden sie aber auch im Ohr. Denn obwohl sich die Schauspielerin einige Male verlas, tat das dem Wohlklang ihrer Worte keinen Abbruch. Wenn sich die Landschaft des Taurusgebirges im Augenblick des Erzählens in der Zuhörerfantasie ausbreitete, klang immer ein unaufdringliches, sanftes Timbre der Sprecherin nach.
Das Thema der Geschichte "Iskender" ist kein leichtes. Um die Passagen um einen kleinen, zutiefst verstörten Jungen, der nie spricht, in Gesellschaft nicht isst und fast allergisch auf Berührungen und Annährungen reagiert, besser sacken lassen zu können, gab es zwischen den Leseabschnitten eine musikalische Pause mit der Formation Ufermann.
Dann las Demirkan weiter und ließ viel Begriffe neu entstehen: Nähe und Ferne, Dimensionen der Wahrnehmung und das Maß der Zeit. Über diese Themen, die poetische Einlassung, was Liebe kann und warum das Leben in der Türkei in den 60er Jahren dem Schriftsteller Hermann Schulz das Tor zur Welt geöffnet hat und wie verschiedene Kulturen miteinander leben, darüber sprachen Autor, Vorleserin und Moderatorin Christiane Gibiec zum Abschluss der rundherum spannenden Auftaktveranstaltung.