Protzer, Posten und Perücken
Historischer Roman: Karla Schneider entlarvt das sächsische Fürstenleben.
Wuppertal. Die Welt ist ungerecht. Kein Wunder, dass sie einem Italiener spanisch vorkommt. Während die Herrschaften im Überfluss leben, bleibt Conte Camillo Marcolini nur dünne Milchsuppe. Das ist ein dickes Ding - findet jedenfalls der Silberpage, der am sächsischen Fürstenhof von süßen Nasch-Orgien, prächtigen Roben und einem repräsentativen Ministerposten träumt.
Von einem, der auszieht, um Ruhm und Reichtum zu suchen, aber stattdessen Frühlingsgefühle und Freundschaft findet, weiß Karla Schneider zu berichten.
Ihr neuer Roman ("Marcolini oder Wie man Günstling wird") ist im Hanser Kinderbuchverlag erschienen, 415 Seiten stark und eine empfehlenswerte Zeitreise - nicht nur für junge Leser, sondern für alle, die Elend und Existenzkämpfe, Prunk und Protz der Barock-Epoche aus der Sicht eines 15-jährigen Ästheten nachvollziehen wollen.
Zu lesen, wie der Italiener mit Diplomatie und Disziplin zum persönlichen Betreuer des Thornerben aufsteigt, ist ein königliches Vergnügen, denn Schneider resümiert das Rennen um die Regierungsgewalt, wie es nur einfühlsamen Hofberichterstattern gelingt. Zeitgemäß schildert sie den Alltag am Hofe - mit eingestreuten französischen Vokabeln und fein geschliffener Sprache.
Die Wuppertalerin beschreibt die Zwei-Klassen-Gemeinschaft genauso einfühlsam wie detailliert. Und immer hat man das Gefühl, als sei sie selbst dabei gewesen. Das spricht für eine umfangreiche Recherche, zumal Schneider ihren historischen Roman ihrer Geburtstadt Dresden widmet. Beim Lesen sieht man den Luxus am sächsischen Fürstenhof förmlich vor sich - die kostbaren Gewänder, die goldenen Statuen und die malerischen Herrscherporträts in der erlauchten Galerie.
Dabei liegen Arm und Reich, Wunsch und Wirklichkeit nah beieinander. Denn aus seiner Fantasie zieht Marcolini Mut und Kraft. Dabei erlebt er haarsträubende Abenteuer, wünscht sich nichts sehnlicher als eine eigene Perücke und wird nicht müde, von einem besseren Schlafkammer zu träumen- einem Zimmer nur für sich allein.
Spätestens als er zum Kammerpagen des künftigen Regenten aufsteigt, stellt sich die alles entscheidende Frage: Kann ein Fürst Freunde haben? Der steife, verschlossene und belächelte Friedrich August kann, denn sein persönlicher Diener ist zwar ein bekennender Klein-Karrierist, aber kein Kleinkarierter.
Der Lebenshungrige lernt mit großem Wissendurst dazu, entwickelt Mitleid für den 13-Jährigen, den die eigene Mutter um den Thron bringen will, und sorgt am Ende dafür, dass der Gehbehinderte buchstäblich Fortschritte macht. Das ist so spannend wie lehrreich, denn die Mutter des angehenden Fürsten unterschätzt den einen wie den anderen. Maria Antonia macht damit einen Fehler - während die Autorin alles richtig macht.