Musterhaft und irritierend

Ágnes Lörincz zeigt den „Letzten Schrei“.

Foto: Stefan Fries

Wuppertal. Erst fällt es gar nicht auf. US-Präsident Barack Obama richtet seinen Blick wie so oft nach oben rechts in eine vage Ferne, daneben blickt der russische Präsident Wladimir Putin aus eisblauen Augen unverwandt auf den Betrachter. Kennt man doch? So eben nicht.

Denn unter Putins Unterlippe ist Stoff mit schwarz-weißem Blumen- und Punktmuster über die 80 Zentimeter Bildbreite geklebt. Und neben Obama zieht sich ein Stoff mit langgezogenen Dreiecken hoch. Um überhaupt zu erkennen, dass es gewebt und nicht gemalt ist, muss man schon genau hinsehen.

Bei Ágnes Lörincz, 1959 im rumänischen Székelykeresztúr geboren, seit langem Wahl-Berlinerin und neu in der Galerie Kunstkomplex, ist es ausdrücklich erwünscht, dass man nah herangeht.

Zeitgeschichtliche Motive wie die Schleyer-Entführung mit einer hier modisch gekleideten Terroristin, Frauenposen in Mode und Werbung, Selbstinszenierungen von Politikern und Ikonen wie Coco Chanel — all diese öffentlichen Musterbilder unterläuft die vielfach ausgezeichnete Künstlerin mit bissiger Ironie. „Dernier Cri“ (Letzter Schrei) ist die Ausstellung betitelt, spielt an auf das allgegenwärtige Versprechen besonderer Aktualität und Individualität: je lauter, desto schneller ist es verpufft.

Wie feiner Hohn wirkt es da, wenn Lörincz heutige Posen auf Tapetenmuster von 1971 malt oder die Hautpartien gleich aus gemasertem Holz gestaltet — ebenmäßig, aber starr. Ihre Werke spielen mit Oberflächen von Mustern und Menschen. So macht die Künstlerin gerade das sichtbar, was darunter liegt. Besonders, wenn da nichts als Leere herrscht.

Die Galeristin Nicole Bardohl erweitert mit Ágnes Lörincz nicht nur ihr Portfolio, sondern zieht auch international weitere Kreise. Gerade wurde sie zur Kunstmesse Scope Basel eingeladen, wo sie vom 15. bis 20. Juni Werke ihrer Künstler Kim Demuth, Henri van Noordenburg und Claudia Knuth präsentieren wird.