Nuhr sagt die Wahrheit
kabarett Er weiß, was Männer ausmacht und Frauen wollen: Dieter Nuhr füllte die Stadthalle – mit 1500 Gästen und vielen Pointen.
Wuppertal. Ganz ehrlich: Dem Mann, der ungelogen abrechnen will, ist zu wünschen, dass er in der ausverkauften Stadthalle nicht die Wahrheit sagt. Sonst träfe ihn der Seitenhieb auf die Geschlechtsgenossen wie ein Bumerang auf offener Bühne: "Männer hören alles, nur nicht zu", hat Dieter Nuhr selbst gesagt. Das wäre schade - nicht nur, weil der 48-Jährige trotz hartnäckiger Hustenanfälle seinen Mann steht und plaudert, wie es wohl (kaum) eine Frau lieber täte. Schade wär’s vor allem, weil der Philosoph unter den Kabarettisten wirklich etwas zu sagen hat.
Das fängt beim Blick auf das Jahr 2008 an ("Für Milliardäre waren das keine guten Monate - ist jemand im Raum?") und hört bei der Schöpfung der Welt noch lange nicht auf: "Gott soll sie in sechs Tagen geschaffen haben? Da habe ich mit Handwerkern ganz andere Erfahrungen gemacht." Der Mann, der in Jeans, sportlichen Schuhen und schwarzem T-Shirt aussieht, als sei er ein großer Junge, reiht kleine Anekdoten scheinbar beiläufig, gut gelaunt und so charmant aneinander, als säße er bei Freunden zu Hause auf dem Sofa. Das ist natürlich gelogen: In Wahrheit redet er Klartext - ganz bewusst und vor 1500 Zuschauern.
"Nu(h)r die Wahrheit" hat er versprochen. Und wer ganz ehrlich ist, sollte deshalb auch bei der Wahrheit bleiben: Das Programm, mit dem der Fußball-Fan sein Publikum in Wuppertal schon im vergangenen Jahr begeistert hat, überzeugt vor allem durch die wesentlich stärke zweite Halbzeit, in der immer mehr Querpässe Elfmeter werden.
Eigentore gibt’s dabei nicht, denn ein echter Mann kann auch über sich selbst schmunzeln. Sogar dann, wenn er eine Nullnummer ist: "Ein Mann sieht doch, dass die Klopapier-Rolle kleiner wird. Aber er ist nicht fähig, daraus die Konsequenzen zu ziehen." Doch auch die, die die Haushaltsvorräte am Ende demonstrativ auffüllen, müssen sich warm anziehen. Für Frauen gilt: "Der Weg zur Hose ist das Ziel." Und nicht die Hose selbst, das ist ja ganz klar.
Mit ehrlichem Respekt dürften seine Zuschauer erkennen, wie Inhalt und Verpackung zusammenpassen: Kein anderer kann so bitterböse und gleichzeitig liebreizend zuschlagen, das Mikro in der rechten Hand halten und die linke in die Hosentasche stecken. Bei Nuhr wirkt das nicht arrogant oder gewollt lässig, sondern natürlich routiniert.
Schnörkellos wie die Wahrheit präsentiert er auch sich selbst: Dem vollen Saal steht eine leere Bühne gegenüber. Der Star des Abends braucht keine große Kulisse, sondern nur ein Wasserglas und einen Stehtisch - an den er sich kurz anlehnt, während er sich selbst auf den Arm nimmt.
Selbstironie gehört zu Nuhr wie seine ruhige Stimme und die taktisch kluge Eigenkritik. Der Rheinländer spielt mit seinen rhetorischen Fähigkeiten, kokettiert mit dem eigenen Programm ("Das kann man eigentlich gar nicht erzählen"), schweift augenzwinkernd ab ("Ich weiß gar nicht, wie ich darauf gekommen bin") und sucht ganz geschickt die Nähe zu seinen Zuhörern: "Haben Sie noch Fragen?"
Die Mischung zwischen Comedy, die Spaß macht, und Kabarett, das den Gags Substanz verleiht, ist seine Spezialität. Und das spiegelt sich auch im faszinierten Publikum, das - anders als bei Kollegen wie Mario Barth - bestens gemischt ist. "Es gibt nicht die eine Wahrheit. Man sollte sich vor denen hüten, die sie verkünden", bilanziert er keck und für den unwahrscheinlichen Fall, dass nach zweieinhalb kurzweiligen Stunden doch noch nicht jeder verstanden haben könnte, wo der rote Faden liegt. "Egal, ob Geschlechter oder Kulturen: Man braucht den Blick von außen, weil man sich an die eigene Beklopptheit gewöhnt hat." So philosophiert er über Antihaarbruch-Shampoo, Multifunktions-BH ("Was können die eigentlich noch?") und radikalen Islamismus, spricht über Gott und die Welt.
Galant, wie er ist, entschuldigt er sich dafür am Ende sogar bei Frühaufstehern im Schlussapplaus: "Halte ich Sie auf?" Keine Frage: Nuhr hat 1500 Gäste im Griff. Und das ist nicht gelogen.