Sinfonieorchester spielt ein Mysterium

Anton Bruckners achte Sinfonie stand am Wochenende auf dem Spielplan. Das Ensemble überzeugte mit gediegenem Spiel.

Foto: Anna Schwartz

An Anton Bruckners Sinfonien scheiden sich die Geister. Manche lieben sie, andere können damit nichts anfangen. Hin und hergerissen war der Komponist selber, änderte er doch immer wieder etwas an ihnen. Kritik nahm er ernst, nagten an seinem ohnehin nicht starken Selbstbewusstsein. Nachdem Hermann Levi die Urfassung der 8. Sinfonie Ende 1887 ablehnte, suchten ihn sogar Depressionen heim. Er ging in sich und schrieb am 27. Februar 1888 an den Dirigenten: „Freilich habe ich Ursache, mich zu schämen — wenigstens für dieses Mal — wegen der 8. Ich Esel!! Jetzt sieht sie schon anders aus“. Von April 1889 bis März 1890 setzte er sich intensiv an den Schreibtisch und arbeitete an der Neufassung. Resultat am Tag der Uraufführung am 18. Dezember 1892 war ein derart enthusiastischer Jubelsturm, wie er Bruckner bis dahin noch nicht zuteilgeworden war.

Dieses monumentale Opus von über 80 Minuten Dauer war einziger Programmpunkt des neunten städtischen Sinfoniekonzerts im Großen Saal der Stadthalle. Doch welche Version wurde gespielt? Im Jahresprogramm, im jüngsten Newsletter der Wuppertaler Bühnen und im Programmheft steht einmütig: Version 1887. Das heißt, der erste Satz muss richtig laut im dreifachen Forte enden und die Harfenistinnen haben im zweiten Satz nichts zu tun. Das Gegenteil war auf der Matinee der Fall. Der erste Abschnitt endete hübsch leise, und die beiden Zupfinstrumente kamen — wie in der von Bruckner legitimierten Fassung aus dem Jahr 1890 vertraut — im Scherzo zum Einsatz. „Möge mit dem Fauxpas gnädig umgegangen werden“ kommt einem in den Sinn, in Anlehnung an den Wunsch Bruckners über die Erstfassung dieser seiner letzten vollendeten Sinfonie: „Möge sie Gnade finden“. Sein Wunsch blieb bekanntlich unerfüllt.

Unabhängig davon, welche Noten gespielt wurden, war die Aufführung dieses Mammutwerks mit den Beinamen „Krone der Musik des 19. Jahrhunderts“, „Apokalyptische“ und laut Bruckner „Mysterium“ unbedingt hörenswert. Unter der Leitung von Christof Prick spielte das groß besetzte Sinfonieorchester Wuppertal wie aus einem Guss.

Der gegenwärtige Chefdirigent des Beethoven Orchesters Bonn kam ohne die dickbändige Partitur aus. So konnte er sich intensiv um ein homogenes Klangbild kümmern und für jeden verlässliche Einsätze geben. Jede Orchestergruppe glänzte mit einem gediegenen Spiel. Feine Holzbläserklänge und makellose Schlagzeugabteilung machten Freude. Die Blechbläser mit unter anderem ihren satten Choralsätzen beseelten. Markige Cellotöne im Scherzo faszinierten ebenso wie feine, leise, sirrende Geigen im Allegro moderato.

Dazu wurde ein großer musikalischer Bogen von der ersten bis zur letzten Note gespannt, ganz in Bruckners Sinn. Denn die Sinfonie muss als Ganzes und nicht jeder Satz für sich allein verstanden werden.

Es geht um das Grundthema vieler Sinfonien, das hier in epischer Breite geschildert wird: der Kampf gegen Tod, Vernichtung Niederlage. Die Todesverkündung mündet in Ergebung, wenn in der Coda des Eingangssatzes die Totenuhr klopft. Weiter geht es im Scherzo mit der Zerstreuung von Resignation und Pessimismus. Im sich anschließenden Adagio wird facettenreich von Liebe und Menschlichkeit gesungen. Die Krönung ist die Coda des Finales, in der die Hauptthemen aller vier Sätze verarbeitet werden und zu einem Siegesjubel über die Lösung aller Konflikte führen.

Absolut stringent, fest im Zugriff, hoch spannend und stets mit einem durchsichtigen Klangbild selbst in den lautesten Tuttipassagen kamen diese musikalischen Auseinandersetzungen von der Bühne.

Stehende Ovationen waren der nur natürliche Dank an Prick und das Orchester für einen in allen Belangen stimmigen musikalischen Vormittag.